Herausforderung Hohlraum

Herausforderung Hohlraum

| 25.11.2024 |

In der Zahnmedizin stellen Zysten, flüssigkeitsgefüllte oder halbfeste Gebilde, eine häufige Herausforderung dar. Obwohl viele Zysten zunächst symptomlos bleiben, können sie bei fortschreitendem Wachstum zu erheblichen Problemen wie Knochenabbau, Zahnverlagerungen oder -resorptionen, Schmerzen und Infektionen führen. Eine frühzeitige Diagnose und adäquate Therapie sind entscheidend, um Komplikationen zu vermeiden und die Mundgesundheit langfristig zu sichern. Dieser Artikel beleuchtet die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Implikationen der Zystenentfernung in der Zahnmedizin.

Neue Wege der Zystenbehandlung

Die Forschung im Bereich der dentalen Zysten hat in den letzten Jahren signifikante Fortschritte gemacht. Die WHO-Klassifikation von 2017 und 2022 unterscheidet nun klar zwischen entzündlichen und entwicklungsbedingten odontogenen Zysten 2. Diese Unterscheidung ist entscheidend für die Wahl der geeigneten Therapiestrategie.

Die radikuläre Zyste, die häufigste odontogene Zyste (>50%), entsteht typischerweise als Folge einer entzündlichen Pulpanekrose 2. Ihre Diagnose basiert oft auf radiologischen Zufallsbefunden, kann aber auch mit Schmerzen einhergehen. Läsionen über 1 cm Durchmesser deuten eher auf Zysten hin 1. Die Therapie erfordert in der Regel eine kombinierte endodontisch-chirurgische Behandlung, da sie auf alleinige endodontische Maßnahmen schlechter ansprechen 1. Bei echten radikulären Zysten, die vollständig epithelial ausgekleidet sind und keine Verbindung zum Wurzelkanal aufweisen, ist eine chirurgische Entfernung unumgänglich 1. Die digitale Volumentomographie (DVT) hat sich hierbei als überlegen gegenüber konventionellen Röntgenaufnahmen erwiesen, da sie eine präzisere Beurteilung des Ausmaßes der Läsion ermöglicht 1.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der odontogenen Keratozyste, einer entwicklungsbedingten Zyste mit aggressivem Wachstum und hoher Rezidivrate 3. Obwohl sie in der WHO-Klassifikation wieder als nicht-neoplastisch eingestuft wird, ist ihre biologische Aggressivität unbestreitbar 3. Die Rezidivrate nach Enukleation und peripherer Ostektomie liegt bei etwa 14,8%, wobei die meisten Rezidive innerhalb der ersten 5-7 Jahre auftreten 4. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer verlängerten Nachbeobachtungszeit von mindestens 10-15 Jahren 4. Die topische Anwendung von 5-Fluorouracil nach Enukleation wird als vorteilhaft zur Senkung der Rezidivrate angesehen 3.

Ein vielversprechender neuer Behandlungsansatz konzentriert sich auf die Vitalitätserhaltung von Zähnen, die von Kieferzysten betroffen sind 5. Eine innovative Methode, die in einer 36-monatigen Follow-up-Studie untersucht wurde, zeigte, dass die Vitalität von 84 von 108 betroffenen Zähnen erfolgreich erhalten werden konnte 5. Dieser Ansatz reduziert nicht nur das chirurgische Trauma und die Behandlungskosten, sondern verlängert auch die Lebensdauer der betroffenen Zähne 5. Die Studie zeigte zudem, dass keine Zystenrezidive auftraten und sich die Knochenhöhle in den meisten Fällen allmählich zurückbildete, was zu einer Wiederherstellung der normalen Knochendichte führte 5.

Zystenmanagement in der Praxis

Die gewonnenen Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung haben direkte Auswirkungen auf die zahnärztliche Praxis und erfordern eine Anpassung der diagnostischen und therapeutischen Strategien. Die verbesserte Klassifikation und das tiefere Verständnis der Pathogenese von Kieferzysten ermöglichen eine präzisere Diagnosestellung und damit eine zielgerichtete Therapie. Insbesondere die Unterscheidung zwischen entzündlichen und entwicklungsbedingten Zysten ist von großer Relevanz, da sie unterschiedliche Behandlungsansätze erfordert.

Für die Diagnostik ist der Einsatz der digitalen Volumentomographie (DVT) nicht mehr wegzudenken. Ihre Überlegenheit gegenüber konventionellen Röntgenaufnahmen bei der Detektion und Beurteilung des Ausmaßes von Zystenläsionen ermöglicht eine präzisere präoperative Planung und minimiert das Risiko von Komplikationen 1. Zahnärzte sollten daher die DVT als Standarddiagnostikum bei Verdacht auf größere oder komplexere Zysten in Betracht ziehen und gegebenenfalls interdisziplinär mit Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen zusammenarbeiten.

Die Therapie der radikulären Zysten bleibt eine Herausforderung, insbesondere wenn es sich um „echte“ Zysten handelt, die nicht mit dem Wurzelkanal verbunden sind. Hier ist eine kombinierte endodontisch-chirurgische Therapie oft unumgänglich 1. Die sorgfältige endodontische Vorbehandlung des betroffenen Zahnes ist entscheidend für den langfristigen Erfolg. Bei der chirurgischen Entfernung sollte, wenn möglich, ein palatinaler Zugang in der ästhetischen Zone in Betracht gezogen werden, um vestibulären Knochen zu schonen und Gingiva-Rezessionen sowie Narbenbildung zu vermeiden 1.

Die odontogene Keratozyste erfordert aufgrund ihrer Aggressivität und hohen Rezidivrate eine besonders aufmerksame Nachsorge. Die Erkenntnis, dass Rezidive auch nach 5-7 Jahren noch auftreten können, unterstreicht die Notwendigkeit einer verlängerten Nachbeobachtungszeit von mindestens 10-15 Jahren 4. Dies bedeutet für die Praxis, dass Patienten mit einer Keratozyste in der Anamnese über einen längeren Zeitraum engmaschig kontrolliert werden sollten. Die topische Anwendung von 5-Fluorouracil nach Enukleation, die sich als vorteilhaft zur Senkung der Rezidivrate erwiesen hat, sollte in die Therapieprotokolle integriert werden 3.

Ein Paradigmenwechsel zeichnet sich in der Behandlung von Zähnen ab, die von Kieferzysten betroffen sind. Der Fokus verschiebt sich von der routinemäßigen Wurzelkanalbehandlung und Wurzelspitzenresektion hin zur Vitalitätserhaltung 5. Die innovative Methode, die eine gezielte Wurzelspitzenresektion nur bei pathogenen Zähnen vorsieht und die Vitalität der „involved teeth“ schont, bietet erhebliche Vorteile für den Patienten. Dies erfordert eine präzise Diagnostik der Vitalität der betroffenen Zähne und eine sorgfältige Abwägung der therapeutischen Schritte. Die Implementierung dieser vitalitätserhaltenden Ansätze kann das chirurgische Trauma reduzieren, die Behandlungskosten senken und die Lebensdauer der Zähne verlängern 5. Zahnärzte sollten sich mit diesen neuen Konzepten vertraut machen und ihre Behandlungsstrategien entsprechend anpassen, um den Patienten die bestmögliche Versorgung zu bieten. Dies kann auch eine engere Zusammenarbeit mit spezialisierten Endodontologen und Oralchirurgen erfordern, um die optimalen Ergebnisse zu erzielen.

Horizonte der Zystenbehandlung

Die kontinuierliche Weiterentwicklung in der Zahnmedizin verspricht auch im Bereich der Zystenbehandlung spannende Neuerungen und verbesserte Therapieoptionen. Laufende Studien und vielversprechende Forschungsansätze konzentrieren sich auf die weitere Optimierung minimalinvasiver Techniken und die Entwicklung neuer Biomaterialien, die die Regeneration von Knochen und Gewebe nach Zystenentfernung fördern. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der personalisierten Medizin, bei der die Behandlung noch stärker auf die individuellen Bedürfnisse und biologischen Gegebenheiten des Patienten zugeschnitten wird.

Potenziell disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) könnten die Diagnostik von Kieferzysten revolutionieren. KI-gestützte Bildanalyse-Systeme könnten in Zukunft in der Lage sein, Zysten auf Röntgenbildern und DVT-Aufnahmen noch präziser und in einem früheren Stadium zu erkennen, was eine frühzeitigere Intervention und somit bessere Prognosen ermöglichen würde. Darüber hinaus könnte KI bei der Vorhersage des Rezidivrisikos, insbesondere bei aggressiven Zysten wie der Keratozyste, eine entscheidende Rolle spielen, indem sie komplexe Datenmuster analysiert und individuelle Risikoprofile erstellt. Dies würde eine noch gezieltere Nachsorge und präventive Maßnahmen erlauben.

Im Bereich der Biomaterialien wird intensiv an Substanzen geforscht, die die Knochenregeneration nach Zystektomie beschleunigen und die Qualität des neu gebildeten Knochens verbessern. Autologes Dentin, wie in einem Fallbericht zur Alveolarkammpreservation nach Zystektomie beschrieben, stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, der die Nutzung körpereigener Materialien für die Regeneration ermöglicht 6. Auch die Entwicklung von bioaktiven Materialien, die gezielt die Heilungsprozesse stimulieren und das Risiko von Komplikationen reduzieren, steht im Fokus der Forschung. Diese Fortschritte könnten die Notwendigkeit umfangreicher rekonstruktiver Maßnahmen reduzieren und die Heilungszeiten verkürzen.

Langfristig wird die Praxis der Zystenentfernung zunehmend von einem interdisziplinären Ansatz geprägt sein. Die enge Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, Oralchirurgen, Pathologen und Radiologen wird unerlässlich sein, um die komplexen Fälle optimal zu managen und die bestmöglichen Ergebnisse für die Patienten zu erzielen. Die Integration neuer Technologien und Forschungsergebnisse in den klinischen Alltag wird eine kontinuierliche Weiterbildung und Anpassungsfähigkeit der Zahnärzteschaft erfordern. Das Ziel ist eine noch schonendere, effektivere und nachhaltigere Behandlung von Kieferzysten, die die Lebensqualität der Patienten maßgeblich verbessert und langfristige Mundgesundheit sichert.

Quellen
  1. Quintessence Publishing. Chirurgische Therapie einer Spätkomplikation nach dentalem Trauma. Quintessenz Zahnmedizin. 2025 Feb 7. Verfügbar unter: https://www.quintessence-publishing.com/deu/de/news/zahnmedizin/endodontie/chirurgische-therapie-einer-spaetkomplikation-nachdentalem-trauma
  2. springermedizin.de. Das Spektrum odontogener Zysten – ein Update. Verfügbar unter: https://www.springermedizin.de/digitale-volumentomographie/digitale-volumentomographie-/das-spektrum-odontogener-zysten-ein-update/19043344
  3. zm-online.de. Rezidiv einer Keratozyste im Unterkiefer eines kardial vorbelasteten Patienten. zm-online. 2024. Verfügbar unter: https://www.zm-online.de/artikel/2024/zm-2024-13/rezidiv-einer-keratozyste-im-unterkiefer-eines-kardial-vorbelasteten-patienten
  4. Karaca Ç, Dere K-A, Er N, Aktaş A, Tosun E, Köseoğlu O-T, Usubütün A. Recurrence rate of odontogenic keratocyst treated by enucleation and peripheral ostectomy: Retrospective case series with up to 12 years of follow-up. Med Oral Patol Oral Cir Bucal. 2018 Jun 21;23(4):e443-e448. Verfügbar unter: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6051675/
  5. Niu G, Zhang G, Chen J, Wang T, Wu Y, Lu Y, Lin L. A 3-year follow-up clinical study on the preservation for vitality of involved tooth in jaw cysts through an innovative method. Sci Rep. 2024 Jan 2;14(1):128. Verfügbar unter: https://www.nature.com/articles/s41598-023-50523-4
  6. ResearchGate. Alveolarkammpreservation mit autologem Dentin nach Zystektomie. Verfügbar unter: https://www.researchgate.net/publication/378661792_Alveolarkammpreservation_mit_autologem_Dentin_nach_Zystektomie
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