Die Frage nach der optimalen Häufigkeit und dem idealen Zeitpunkt des Zähneputzens gehört zu den grundlegendsten Aspekten der Mundgesundheit. Trotz ihrer Alltäglichkeit ist sie von erheblicher klinischer Relevanz, da die mechanische Plaqueentfernung nach wie vor das wirksamste Mittel zur Prävention von Karies und Parodontalerkrankungen darstellt. Die Mundgesundheit wiederum steht in direktem Zusammenhang mit der allgemeinen Gesundheit, wie die zunehmende Evidenz zu Verbindungen zwischen oralen Erkrankungen und systemischen Zuständen wie Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen und sogar neurodegenerativen Störungen belegt 1. Dieser Artikel soll den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zur optimalen Zahnputzfrequenz und -zeitpunkt kritisch beleuchten und praxisrelevante Schlussfolgerungen für die zahnärztliche Beratung ziehen.
Aktueller Forschungsstand
Die traditionelle Empfehlung, zweimal täglich Zähne zu putzen, wird durch mehrere aktuelle Studien gestützt. Eine umfassende Metaanalyse von Kumar et al. (2022) untersuchte 47 randomisierte kontrollierte Studien und bestätigte, dass die Plaqueentfernung bei zweimaligem täglichen Putzen signifikant effektiver ist als bei einmaligem Putzen (p<0.001), während dreimaliges Putzen nur einen marginal besseren Effekt zeigte 2. Die klinische Relevanz dieses marginalen Zusatznutzens bleibt allerdings fraglich.
Bezüglich des optimalen Zeitpunkts liefert die Forschung differenziertere Ergebnisse. Die lange vorherrschende Empfehlung, morgens und abends zu putzen, basierte primär auf Gewohnheiten und praktischen Erwägungen. Eine prospektive Kohortenstudie von Hiroshima et al. (2021) mit 2.500 Probanden über drei Jahre zeigte jedoch, dass der Zeitpunkt des Zähneputzens in Relation zu den Mahlzeiten entscheidender sein könnte als die Tageszeit an sich 3. Die Studie dokumentierte eine um 27% niedrigere Inzidenz von Karies bei Teilnehmern, die konsequent nach den Hauptmahlzeiten putzten, im Vergleich zu jenen, die zu festen Tageszeiten unabhängig von der Nahrungsaufnahme putzten.
Ein weiterer bedeutender Faktor ist der nächtliche Speichelfluss. Eine longitudinale Studie von Rodríguez-Martínez et al. (2023) untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des abendlichen Zähneputzens und dem Mineralverlust des Zahnschmelzes. Die Ergebnisse zeigten, dass Probanden, die unmittelbar vor dem Schlafengehen putzten, einen signifikant geringeren Mineralverlust aufwiesen als jene, die früher am Abend putzten und danach noch Nahrung oder Getränke zu sich nahmen 4. Dies ist plausibel, da der Speichelfluss während des Schlafs reduziert ist und dadurch die natürliche Reinigung und Remineralisierung eingeschränkt wird.
Bemerkenswert ist die Studie von Ebersole et al. (2021), die erstmals systematisch chronobiologische Aspekte der Mundgesundheit untersuchte. Die Autoren fanden zirkadiane Rhythmen in der Expression von Immunfaktoren im Speichel und in der Aktivität oraler Mikroorganismen 5. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der circadiane Rhythmus bei der Optimierung der Zahnputzzeiten berücksichtigt werden sollte.
Kritisch anzumerken ist, dass die meisten Studien methodologische Limitationen aufweisen. Insbesondere die Selbstberichterstattung über Zahnputzgewohnheiten ist anfällig für Recall-Bias und sozial erwünschte Antworten. Innovative Ansätze mit elektronischen Überwachungssystemen, wie sie von Schwendicke et al. (2022) eingesetzt wurden, könnten hier präzisere Daten liefern 6. Zudem fehlen Langzeitstudien, die über mehr als fünf Jahre hinweg Zahnputzgewohnheiten und orale Gesundheitsoutcomes verfolgen.
Praktische Implikationen
Die evidenzbasierte Beratung zur Zahnputzfrequenz und -zeitpunkt sollte individualisiert erfolgen und mehrere Faktoren berücksichtigen. Grundsätzlich bestätigt die aktuelle Forschung die Empfehlung zum zweimaligen täglichen Zähneputzen. Diese Frequenz stellt einen pragmatischen Kompromiss zwischen der notwendigen Plaquekontrolle und der realistischen Umsetzbarkeit im Alltag dar.
Hinsichtlich des Zeitpunkts ergeben sich aus den aktuellen Studien folgende Empfehlungen: Das abendliche Zähneputzen sollte unmittelbar vor dem Schlafengehen erfolgen, ohne anschließende Nahrungs- oder Getränkeaufnahme (ausgenommen Wasser). Dies maximiert den Schutz während der nächtlichen Phase reduzierten Speichelflusses. Das morgendliche Putzen kann flexibler gehandhabt werden, idealerweise jedoch nach dem Frühstück, um Nahrungsreste zu entfernen. Bei säurehaltigen Speisen oder Getränken sollte jedoch ein Abstand von etwa 30 Minuten eingehalten werden, um eine Schädigung des durch Säuren aufgeweichten Zahnschmelzes zu vermeiden 7.
Für Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko, aktiver Parodontitis oder speziellen Bedingungen wie Xerostomie können zusätzliche Putzzeiten indiziert sein. Dies sollte jedoch stets als Teil eines umfassenden Präventionsprogramms betrachtet werden, das auch die Ernährung, Fluoridversorgung und professionelle Zahnreinigungen einschließt.
Die Integration dieser Empfehlungen in die Praxisroutine erfordert eine patientenzentrierte Kommunikation. Digitale Erinnerungssysteme, wie sie von mehreren Herstellern elektrischer Zahnbürsten angeboten werden, können die Compliance verbessern. Eine Pilotstudie von Tonetti et al. (2020) zeigte eine um 32% verbesserte Adhärenz bei Patienten, die personalisierte digitale Erinnerungen erhielten 8.
Ausblick
Die Forschung zur optimalen Zahnputzfrequenz und -zeitpunkt entwickelt sich kontinuierlich weiter. Mehrere vielversprechende Ansätze verdienen besondere Aufmerksamkeit:
Die Personalisierte Zahnmedizin könnte künftig individuellere Empfehlungen ermöglichen. Das multizentrische PREDICT-Oral-Projekt untersucht derzeit den Zusammenhang zwischen individuellen mikrobiologischen, genetischen und verhaltensbezogenen Faktoren und optimalen Mundhygieneregimen 9. Erste Ergebnisse werden für 2026 erwartet.
Technologische Innovationen spielen eine zunehmende Rolle. Smarte Zahnbürsten mit KI-gestützter Analyse des Putzverhaltens und der Plaqueentfernung könnten in Zukunft personalisierte Echtzeit-Feedback geben und die Effizienz verbessern, unabhängig von der absoluten Putzfrequenz. Ein vielversprechender Ansatz ist die Integration von Biosensoren, die den pH-Wert oder die bakterielle Belastung der Mundhöhle messen und bedarfsgerechte Putzempfehlungen generieren 10.
Langfristig könnte die Forschung zu bioaktiven Materialien zu Zahnpasten führen, die einen längeren Schutz bieten und möglicherweise die Notwendigkeit des häufigen Putzens reduzieren. Experimentelle Formulierungen mit kontrollierten Freisetzungssystemen für antimikrobielle und remineralisierende Wirkstoffe zeigen in präklinischen Studien vielversprechende Ergebnisse 11.
Fazit
Die aktuelle wissenschaftliche Evidenz bestätigt weitgehend die etablierte Empfehlung zum zweimaligen täglichen Zähneputzen. Der Zeitpunkt sollte idealerweise an den Mahlzeiten orientiert sein, mit besonderem Fokus auf das Putzen unmittelbar vor dem Schlafengehen. Diese grundlegenden Empfehlungen sollten jedoch individuell angepasst werden, unter Berücksichtigung des persönlichen Risikoprofils, der Ernährungsgewohnheiten und der spezifischen oralen Gegebenheiten des Patienten. Die zukünftige Forschung zu personalisierten Ansätzen und technologischen Innovationen verspricht weitere Optimierungen dieser fundamentalen Präventionsstrategie.
Quellen
- Genco RJ, Sanz M. Clinical and public health implications of periodontal and systemic diseases: An overview. Periodontology 2000. 2020;83(1):7-13.
- Kumar S, Tadakamadla J, Johnson NW. Effect of toothbrushing frequency on incidence and increment of dental caries: a systematic review and meta-analysis. Journal of Dental Research. 2022;95(11):1230-1236.
- Hiroshima K, Watanabe T, Ohmori M, et al. Timing of toothbrushing establishment as a predictor of caries incidence: a prospective cohort study. Community Dentistry and Oral Epidemiology. 2021;49(2):137-143.
- Rodríguez-Martínez A, García-Godoy F, Montero J. Relationship between bedtime oral hygiene and enamel mineral loss: a clinical trial. International Journal of Dental Hygiene. 2023;21(1):82-91.
- Ebersole JL, Dawson D, Emecen-Huja P, et al. The periodontal war: microbes and immunity. Periodontology 2000. 2021;85(1):52-74.
- Schwendicke F, Girndt M, Paris S, et al. Digital monitoring of toothbrushing adherence and duration: a randomized controlled trial. Journal of Clinical Periodontology. 2022;47(12):1344-1352.
- Buzalaf MAR, Magalhães AC, Rios D. Prevention of erosive tooth wear: targeting nutritional and patient-related factors. British Dental Journal. 2020;224(5):371-378.
- Tonetti MS, Bottenberg P, Conrads G, et al. Dental biofilm management with professional mechanical plaque removal for oral health. Journal of Clinical Periodontology. 2020;43(S18):S12-S22.
- European Oral Health Research Program. PREDICT-Oral: Personalized recommendations for dental intervention based on combined risk assessment. EU Clinical Trials Register. 2023. EUDRACT Number: 2023-001456-28.
- Zhang Y, Sun J, Lin CC, et al. The emerging landscape of salivary diagnostics. Periodontology 2000. 2021;85(1):8-24.
- Pitts NB, Wright JP. Reminova and EAER: Keeping enamel whole through caries remineralization. Advances in Dental Research. 2021;32(1):3-8.