Zahnkaries lässt sich vermeiden, das ist bekannt. Weniger bekannt ist jedoch, dass der Zuckeraustauschstoff Xylitol einen antikariogenen Effekt haben soll. Der in speziellen Kaugummis und anderen Produkten enthaltene Stoff verspricht, die Plaquebildung zu vermindern und die Produktion von zahnschädigenden Säuren zu reduzieren. Doch wie stark ist die wissenschaftliche Evidenz für diese Behauptungen? Kann ein Zuckerersatz tatsächlich aktiv zur Kariesprophylaxe beitragen?
Die süße Alternative mit Potenzial
Xylitol, auch als Xylit bezeichnet, ist ein natürlich vorkommender Zuckeralkohol mit fünf Kohlenstoffatomen (Pentanpentaol). Er kommt in geringen Mengen in verschiedenen Früchten, Gemüsesorten und Pilzen vor, unter anderem in Himbeeren, Pflaumen und in der Rinde bestimmter Holzarten wie Birke. Industriell wird Xylitol überwiegend aus Maiskolbenresten durch die Reduktion von Xylose gewonnen.
Mit der gleichen Süßkraft wie Haushaltszucker, aber einem um etwa 40 Prozent niedrigeren Brennwert, bietet Xylitol einen ersten offensichtlichen Vorteil. Für Diabetiker ist es geeignet, da es insulinunabhängig verstoffwechselt wird.
Die antikariogene Wirkung von Xylitol wurde bereits in den 1970er-Jahren durch finnische Wissenschaftler entdeckt. Die Turku-Zuckerstudien von 1972 und 1975 konnten eine signifikante Reduktion von Karies bei der Verwendung von Xylitol belegen.
Was sagt die aktuelle Forschung?
In den letzten fünf Jahren hat die wissenschaftliche Gemeinschaft das Interesse an Xylitol als kariespräventives Mittel wieder verstärkt. Eine wegweisende Meta-Analyse von ALHumaid und Bamashmous aus dem Jahr 2022 fasste die Evidenz zur Wirksamkeit von xylitolhaltigen Produkten in der Kariesprophylaxe zusammen. Die Autoren durchsuchten systematisch mehrere Datenbanken nach Studien zwischen 1966 und März 2020 und führten eine Meta-Analyse durch.
Die Ergebnisse zeigten, dass xylitolhaltige Produkte im Vergleich zu Kontrollprodukten ohne Xylitol signifikant Karies vorbeugen können. Die Autoren berechneten eine präventive Fraktion von etwa 17%, was bedeutet, dass bei 100 kariesgefährdeten Personen, die Xylitol konsumieren, 17 möglicherweise keine kariösen Läsionen entwickeln würden.
Eine andere systematische Übersichtsarbeit berichtete von einer deutlich höheren präventiven Fraktion von 58%. Diese Übersicht umfasste randomisierte kontrollierte Studien mit xylitolhaltigen Kaugummis, was die Frage aufwirft, inwieweit der Speichelfluss selbst zur Kariesprävention beigetragen haben könnte.
Eine kritische Betrachtung der Evidenz zeigt jedoch auch Limitationen. Marghalani et al. kamen in ihrer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass die Evidenz für den Einsatz von Xylitol als Präventionsmittel "niedrig" sei. Ein wichtiger Kritikpunkt ist, dass Xylitol nie als alleiniges Produkt untersucht wurde. In den meisten Studien verwendeten die Teilnehmer bereits andere Präventionsmittel wie Fluorid, was die isolierte Wirkung von Xylitol schwer zu beurteilen macht.
Wirkungsmechanismen unter der Lupe
Die antikariogene Wirkung von Xylitol beruht auf mehreren Mechanismen. Primär reduziert Xylitol die Plaquebildung, indem es das Wachstum kariesverursachender Bakterien wie Streptococcus mutans hemmt. Diese Bakterien können den Zuckeralkohol nicht verstoffwechseln und werden somit "ausgehungert".
Der regelmäßige Verzehr senkt nachweislich die Zahl der Streptokokken in der Plaque und im Speichel und verhindert zusätzlich das Anlagern der Bakterien am Zahnschmelz. Ein weiterer Effekt ist die Reduktion der schädlichen Säurebildung in der Plaque.
Für die praktische Anwendung in der Zahnarztpraxis sind Dosierung und Anwendungshäufigkeit entscheidend. Die Meta-Analyse von ALHumaid und Bamashmous (2022) kam zu dem Schluss, dass das wirksamste Xylitol-Produkt zur Kariesprophylaxe reines (100%) Xylitol ist, das drei- bis fünfmal täglich nach den Mahlzeiten gekaut oder konsumiert wird, mit einer Gesamtdosis von 5-10 g Xylitol pro Tag.
Eine schwedische Studie zeigte, dass bereits eine tägliche Aufnahme von 3,4 g Xylitol über vier Wochen die Plaquebildung um ein Drittel senken kann. Für die Reduktion der Säureproduktion war dagegen eine Tagesdosis von 6 g Xylitol nötig. Diese Menge wird durch das Kauen von etwa sechs Kaugummis über den Tag verteilt erreicht, idealerweise kurz nach den Mahlzeiten.
Die Herausforderung bei Xylitol liegt in der Compliance. Es kann für Patienten mit hohem Kariesrisiko bereits schwierig sein, zweimal täglich zu putzen – die zusätzliche Anforderung, mehrmals täglich Xylitol zu konsumieren, könnte die Compliance weiter erschweren. Zudem enthalten viele frei verkäufliche Produkte mit Xylitol nicht genug, um einen nennenswerten Unterschied zu bewirken: Ein Stück Wrigley's Extra Kaugummi enthält beispielsweise nur 0,08 g Xylitol, ein Stück Trident Kaugummi 0,17 g. Dies bedeutet, dass eine Person etwa 29 Stücke Trident Kaugummi täglich kauen müsste, um die empfohlene Mindesttagesdosis Xylitol zu erreichen.
Der Mutter-Kind-Effekt
Ein besonders interessanter Aspekt der Xylitol-Forschung ist der sogenannte Mutter-Kind-Effekt. Xylitol schützt nicht nur die Zähne des Konsumenten selbst, sondern kann auch das Kariesrisiko der Nachkommen verringern. Neugeborene kommen mit einer sterilen Mundhöhle zur Welt und erhalten kariesfördernde Bakterien durch den Speichel der Mutter – bei jedem Kuss, beim Ablecken des Schnullers oder beim gemeinsamen Benutzen von Besteck. Je geringer die Streptokokkendichte im Speichel der Mutter, desto niedriger ist das Risiko für eine Übertragung der Bakterien auf das Kind.
Eine finnische Studie aus dem Jahr 2000 mit 195 Müttern von Neugeborenen zeigte eindrucksvolle Ergebnisse: 120 Frauen mit hoher Streptokokkenpopulation kauten in der Zeit von 3 bis 24 Monaten nach der Geburt viermal täglich Xylitkaugummi. Die Kontrollgruppen erhielten in diesem Zeitraum alle sechs Monate eine Lackbehandlung mit Fluorid oder Chlorhexidin. Im Alter von zwei Jahren wiesen nur 9,7 Prozent der Kinder aus der Xylitol-Gruppe eine Streptococcus-mutans-Besiedlung auf, verglichen mit 28,6 Prozent der Kinder aus der Chlorhexidin-Gruppe und 48,5 Prozent aus der Fluorid-Gruppe. Eine Nachuntersuchung derselben Kinder im Alter von fünf Jahren ergab, dass die Zähne der Kinder aus der Xylitolgruppe um 70 Prozent weniger Kariesschäden aufwiesen als die Kinder der beiden anderen Gruppen.
Trotz dieser überzeugenden Studienergebnisse ist die protektive Wirkung von Xylitol kaum einer Schwangeren bekannt. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde bestätigt die Zuverlässigkeit der Studiendaten, weist jedoch auf Herausforderungen bei der Erreichbarkeit der Zielgruppe hin: Nicht alle Schwangeren kauen Kaugummi, und xylithaltige Produkte sind vergleichsweise teuer.
Die aktuelle Forschung zu Xylitol konzentriert sich auf Kombinationstherapien, bei denen Xylitol mit anderen kariespräventiven Substanzen wie Fluorid kombiniert wird. Studien zeigen, dass diese Kombination effektiver sein könnte als Einzelanwendungen.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf der Entwicklung neuer Darreichungsformen. Neben den klassischen Kaugummis und Bonbons werden zunehmend Zahnpasten, Mundspülungen und sogar Zahnpasta-Tabletten mit Xylitol untersucht.
Die aktuelle Bilanz
Die Evidenzlage zu Xylitol als kariespräventives Mittel ist komplex. Einerseits zeigen zahlreiche Studien positive Effekte, andererseits variieren die berichteten Wirkungsgrade erheblich, und methodische Einschränkungen erschweren eindeutige Schlussfolgerungen.
Für die zahnärztliche Praxis lässt sich festhalten: Xylitol sollte als Teil einer umfassenden Strategie zur Kariesprophylaxe betrachtet werden, nicht als Allheilmittel. Die Empfehlung von xylitolhaltigen Produkten kann besonders für Hochrisikopatienten, Schwangere und Mütter von Kleinkindern sinnvoll sein.
Bei der Empfehlung sollten folgende Punkte beachtet werden: Die tägliche Dosis sollte bei 5-10 g Xylitol liegen, verteilt auf mindestens drei Anwendungen pro Tag, idealerweise nach den Mahlzeiten. Produkte, die den Speichelfluss anregen (wie Kaugummis), sind zu bevorzugen. Xylitol ersetzt nicht die konventionellen Maßnahmen zur Kariesprophylaxe wie Fluoridierung und gründliche Mundhygiene.
Angesichts der aktuellen Evidenzlage und der laufenden Forschung bleibt Xylitol ein vielversprechender, wenn auch nicht revolutionärer Baustein in der modernen Kariesprophylaxe. Die Entscheidung, ob ein präventiver Effekt von 17% die Empfehlung rechtfertigt, liegt letztlich im Ermessen des behandelnden Zahnarztes und sollte individuell auf den Patienten abgestimmt werden.
Quellen
- ALHumaid J, Bamashmous M. Meta-analysis on the effectiveness of xylitol in caries prevention. J Int Soc Prev Community Dent. 2022;12(2):133-138.
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- Marghalani AA, Guinto E, Phan M, Dhar V, Tinanoff N. Effectiveness of xylitol in reducing dental caries in children. Pediatr Dent. 2017;39:103-10.
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