Wenn die Zähne das Leiden übernehmen

Wenn die Zähne das Leiden übernehmen

| 20.2.2024 |

In einer Welt, die sich immer schneller dreht und in der die Anforderungen an den Einzelnen stetig wachsen, ist Stress zu einem allgegenwärtigen Begleiter geworden. Während die Auswirkungen von chronischem Stress auf die allgemeine Gesundheit weithin bekannt sind, rückt ein spezifisches Schmerzbild zunehmend in den Fokus der zahnmedizinischen Forschung und Praxis: der Bruxismus. Dieses unbewusste, oft nächtliche Pressen und Knirschen mit den Zähnen kann weitreichende Folgen für das stomatognathe System haben, von Zahnhartsubstanzverlusten über Muskel- und Gelenkschmerzen bis hin zu Kopfschmerzen. Die Verbindung zwischen psychischem Stress und der Manifestation von Bruxismus ist dabei von zentraler Bedeutung.

Wenn Anspannung auf Zähne trifft

Der Zusammenhang zwischen Stress und Bruxismus ist seit Langem Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Neuere Studien der letzten fünf Jahre untermauern diese Verbindung und liefern detailliertere Einblicke in die zugrunde liegenden Mechanismen. Eine systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse von Chemelo et al. (2020) [1] zeigte, dass gestresste Personen eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, Bruxismus zu entwickeln, im Vergleich zu gesunden Individuen (Odds Ratio 2.07; 95% Konfidenzintervall 1.51-2.83; p < 0.00001). Dies deutet auf eine konsistente, wenn auch noch nicht vollständig entschlüsselte Korrelation hin.

Bereits frühere Arbeiten, wie die von Ahlberg et al. (2012) [2], zeigten, dass selbstberichteter Bruxismus eng mit psychologischen Zuständen wie Angst und Stress bei Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter verbunden sein kann. Häufige Bruxer berichteten signifikant stärkere Angstzustände und waren mehr als doppelt so häufig von starkem Stress und Angst betroffen als Nicht- oder Gelegenheitsbruxer. Diese Ergebnisse sind relevant, da sie die Langzeitperspektive der Forschung in diesem Bereich aufzeigen und die Basis für aktuellere Studien bilden.

Die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Bruxismus (DGFDT & DGZMK, 2019) [3] bestätigt ebenfalls den Einfluss psychosozialer Faktoren. Sie weist darauf hin, dass Bruxismus mit erheblichen nicht-kariösen Zahnhartsubstanzverlusten und/oder dem Verlust von Restaurationsmaterialien einhergehen kann und ein Risiko für technisches und biologisches Versagen von Zahnersatz darstellt. Die Leitlinie betont die Rolle von Stress als prädisponierenden, auslösenden und/oder unterhaltenden Faktor bei kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD), die häufig mit Bruxismus assoziiert sind. Sie differenziert zwischen Wachbruxismus, der eher psychologisch bedingt zu sein scheint, und Schlafbruxismus, der als zentralnervöse Störung betrachtet wird, wobei jedoch auch hier psychische Faktoren eine Rolle spielen können.

Die kritische Bewertung der Studienlage zeigt, dass die Forschung zum Zusammenhang zwischen Stress und Bruxismus zwar Fortschritte macht, aber weiterhin Herausforderungen bestehen. Viele Studien basieren auf Selbstauskünften, was zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen kann. Objektive Messmethoden wie die Polysomnographie oder die Elektromyographie sind aufwendiger, liefern aber präzisere Daten. Die Heterogenität der Studiendesigns und die unterschiedlichen Definitionen von Stress und Bruxismus erschweren zudem die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Dennoch ist die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen psychischem Stress und Bruxismus, insbesondere dem Wachbruxismus, zunehmend robust.

Was die Praxis jetzt wissen muss

Die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Stress und Bruxismus haben direkte Auswirkungen auf die zahnärztliche Praxis. Eine umfassende Anamnese, die nicht nur zahnmedizinische, sondern auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt, ist unerlässlich. Zahnärzte sollten gezielt nach Stressfaktoren, Schlafqualität und psychischem Wohlbefinden fragen. Die S3-Leitlinie [3] empfiehlt hierfür standardisierte Fragebögen und eine sorgfältige klinische Untersuchung, um die Diagnose von Bruxismus zu sichern und zwischen Schlaf- und Wachbruxismus zu differenzieren. Während die Polysomnographie als Goldstandard für die Diagnostik des Schlafbruxismus gilt, sind für die Praxis auch weniger aufwendige Methoden wie die Anamnese und die klinische Untersuchung von großer Bedeutung. Auch tragbare EMG-Geräte können eine wertvolle Ergänzung zur objektiven Erfassung der Kaumuskelaktivität darstellen.

In Bezug auf die Therapie ist ein multimodaler Ansatz oft am effektivsten. Neben der klassischen Schienentherapie, die den Zahnschutz und die Entlastung der Kiefergelenke zum Ziel hat, sollten auch stressreduzierende Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Dies kann die Empfehlung von Entspannungstechniken wie Progressiver Muskelentspannung nach Jacobson, Yoga oder Achtsamkeitsübungen umfassen. In Fällen, in denen der Stressfaktor dominant ist und der Patient unter erheblichen psychischen Belastungen leidet, kann die Überweisung an einen Psychotherapeuten oder Schmerztherapeuten sinnvoll sein. Die Leitlinie [3] hebt psychotherapeutische Verfahren wie die kognitive Verhaltenstherapie und Biofeedback als wirksame Ergänzungen zur zahnärztlichen Behandlung hervor. Auch physiotherapeutische Maßnahmen können zur Linderung von Muskelverspannungen beitragen.

Die neuen Erkenntnisse verändern auch die Prophylaxe. Es geht nicht mehr nur darum, die Folgen des Bruxismus zu behandeln, sondern präventiv auf die zugrunde liegenden Stressfaktoren einzuwirken. Dies beinhaltet die Aufklärung der Patienten über den Zusammenhang zwischen Stress und Bruxismus und die Vermittlung von Strategien zur Stressbewältigung. Die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen, wie Psychologen und Physiotherapeuten, wird zunehmend wichtiger, um eine ganzheitliche Betreuung der Patienten zu gewährleisten. Wirtschaftlich betrachtet können präventive Maßnahmen und eine frühzeitige Intervention langfristig Kosten sparen, da aufwendige restaurative Behandlungen oder die Behandlung chronischer Schmerzen vermieden werden können. Technologisch bieten digitale Abformungen und CAD/CAM-Verfahren neue Möglichkeiten für die präzise Herstellung von Schienen und anderen okklusalen Geräten.

Blick in die Zukunft

Die Forschung zu Bruxismus und Stress ist ein dynamisches Feld, das ständig neue Erkenntnisse liefert und vielversprechende Ansätze für die Zukunft bereithält. Ein zentraler Fokus liegt auf der weiteren Verfeinerung der Diagnostik. Hier könnten tragbare Sensoren, die Kaumuskelaktivität und Schlafparameter in Echtzeit erfassen, eine immer größere Rolle spielen. Diese Technologien ermöglichen eine objektivere und alltagsnähere Erfassung des Bruxismusgeschehens und könnten personalisierte Therapieansätze unterstützen. Auch die Entwicklung von Biomarkern, die den Stresslevel oder die Anfälligkeit für Bruxismus anzeigen, ist ein vielversprechender Forschungsbereich. Solche Biomarker könnten eine frühzeitigere Intervention ermöglichen, noch bevor irreversible Schäden entstehen.

Im Bereich der Therapie könnten disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und neue Biomaterialien eine Revolution bewirken. KI-gestützte Systeme könnten beispielsweise Muster in den Schlafdaten erkennen und Vorhersagen über Bruxismus-Episoden treffen, was eine gezieltere Intervention ermöglicht. Personalisierte Biofeedback-Systeme, die auf KI basieren, könnten Patienten dabei unterstützen, ihre Kaumuskelaktivität bewusst zu steuern und Stress abzubauen. Fortschritte in der Materialwissenschaft könnten zu noch widerstandsfähigeren und biokompatibleren Schienenmaterialien führen, die den Zahnschutz optimieren und den Tragekomfort erhöhen. Auch die Entwicklung von intelligenten Schienen, die Daten sammeln und Feedback geben, ist denkbar.

Langfristig wird die zahnärztliche Praxis eine noch stärkere Integration von psychologischen und verhaltensmedizinischen Ansätzen erleben. Die Zusammenarbeit mit Psychologen, Psychotherapeuten und anderen Spezialisten wird zur Norm werden, um die komplexen Zusammenhänge zwischen oralen Symptomen und systemischen Faktoren, insbesondere Stress, umfassend zu adressieren. Die Prävention wird eine noch größere Rolle spielen, wobei der Fokus auf der Förderung der psychischen Gesundheit und der Resilienz gegenüber Stress liegen wird. Dies könnte die Implementierung von Stressmanagement-Programmen in Zahnarztpraxen oder die enge Kooperation mit entsprechenden externen Anbietern umfassen. Das Ziel ist es, nicht nur die Symptome des Bruxismus zu lindern, sondern die Patienten ganzheitlich zu betreuen und ihre Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.

Mehr als nur Zähneknirschen: Ein ganzheitlicher Blick auf Bruxismus und Stress

Bruxismus ist weit mehr als eine rein zahnmedizinische Herausforderung; er ist ein Spiegelbild unserer modernen Lebensweise und der zunehmenden Belastung durch Stress. Die enge Verknüpfung zwischen psychischem Wohlbefinden und der Gesundheit des stomatognathen Systems erfordert einen Paradigmenwechsel in der zahnärztlichen Praxis. Es geht darum, über den Tellerrand der rein mechanischen Behandlung hinauszublicken und die Patienten als Ganzes zu betrachten. Die Integration von psychosozialen Aspekten in die Anamnese, die Berücksichtigung stressreduzierender Maßnahmen in der Therapie und die Förderung präventiver Ansätze zur Stressbewältigung sind entscheidend für eine erfolgreiche und nachhaltige Behandlung. Die Zukunft der Zahnmedizin im Kontext des Bruxismus liegt in der interdisziplinären Zusammenarbeit und der Nutzung innovativer Technologien, um personalisierte und ganzheitliche Lösungen anzubieten. Nur so können wir sicherstellen, dass die Zähne nicht länger das Leiden übernehmen, sondern als Indikatoren für eine umfassendere Gesundheitsbetrachtung dienen und die Patienten ein Leben ohne die Last des Bruxismus führen können.

Quellen
  1. Chemelo, V. D. S., de Sousa Né, Y. G., Frazão, D. R., de Souza-Rodrigues, R. D., Fagundes, N. C. F., Magno, M. B., ... & Lima, R. R. (2020). Is There Association Between Stress and Bruxism? A Systematic Review and Meta-Analysis. Frontiers in Neurology, 11, 590779.
  2. Ahlberg, J., Lobbezoo, F., Ahlberg, K., Manfredini, D., Hublin, C., Sinisalo, J., ... & Savolainen, A. (2012). Self-reported bruxism mirrors anxiety and stress in adults. Medicina Oral, Patología Oral y Cirugía Bucal, 18(1), e7-e11.
  3. Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGFDT) & Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). (2019). S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung des Bruxismus (AWMF-Registernummer: 083-027).
  • Herr Markus Lentrodt ist seit ca. 10 Jahren bereits mein Zahnarzt.Seit dieser Zeit fühle ich mich sehr gut aufgehoben und habe auch keine Probleme mehr mit meinen Zähnen.Er berät einen stets sehr gut und ehrlich und empfiehlt die Behandlungsmethoden nur so was er auch in seinem Mund machen würde.Ich bin froh diesen Zahnarzt gefunden zu haben, da ich vorher immer wieder auftretenden Probleme hatte.Seit dem ich bei Herrn Lentrodt und den regelmäßigen Kontrollen bin, habe ich eine perfekte Betreuung und keine Beschwerden mehr.Die Praxis ist sehr modern und das Team kompetent und freundlich.Das die Termine stets pünktlich eingehalten werden ist eine weitere angenehme Tatsache.Absolute Empfehlung von mir.

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  • Die beste Zahnarztpraxis, die ich bislang kennengelernt hatte. Die Atmosphäre und das Ambiente sind sehr angenehm, modernste Ausstattung und die Behandlung war immer inkl. ausführlicher Erläuterungen und so behutsam wie nur möglich. Unbedingt empfehlenswert!

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  • Super Praxis , tolle Team !

    5 von 5 Sternen