Obstruktive Schlafapnoe (OSA) ist eine weit verbreitete Erkrankung, die durch wiederholte Episoden von teilweiser oder vollständiger Verlegung der oberen Atemwege während des Schlafes gekennzeichnet ist. Diese nächtlichen Atemaussetzer führen zu Sauerstoffmangel und fragmentiertem Schlaf, was weitreichende negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat, darunter ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen und kognitive Beeinträchtigungen. Während die Continuous Positive Airway Pressure (CPAP)-Therapie als Goldstandard gilt, ist die Adhärenz vieler Patienten aufgrund von Unbehagen und Unannehmlichkeiten suboptimal. Hier kommt der Zahnmedizin eine entscheidende Rolle zu. Die Entwicklung und Anwendung von oralen Appliances, insbesondere Unterkieferprotrusionsschienen (UPS), hat sich als effektive Alternative oder Ergänzung zur CPAP-Therapie etabliert.
Neue Wege im Kampf gegen die nächtliche Atemnot
Die Forschung im Bereich der obstruktiven Schlafapnoe hat in den letzten fünf Jahren signifikante Fortschritte gemacht, insbesondere hinsichtlich der Rolle oraler Appliances (OAs) und anderer zahnmedizinisch relevanter Therapieansätze. Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von Gao et al. (2025) [1] verglich die Wirksamkeit von Schlafpositionstherapie (SPT), oralen Appliances (OAT) und CPAP bei der Behandlung von OSA. Die Studie zeigte, dass SPT eine sichere Alternative für die Behandlung von positioneller OSA (POSA) darstellt, insbesondere für Patienten, die CPAP nicht tolerieren. Allerdings war SPT weniger effektiv als CPAP bei der Reduzierung des Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) und der Verbesserung der Oxygenierung. Im Vergleich zu OAT zeigte SPT eine signifikante Verbesserung des Arousal-Index und ein geringeres Risiko für gerätebedingte Komplikationen.
Eine weitere wichtige Metaanalyse von Mohamed et al. (2024) [2] untersuchte die Wirksamkeit von Positionaltherapie (PT) und oralen Appliances (OAT) bei der Behandlung von positioneller obstruktiver Schlafapnoe (POSA). Die Ergebnisse zeigten, dass beide Therapieansätze effektiv waren, wobei OAT eine höhere Effizienz aufwies. OAT führte zu einer erhöhten Rückenlage-Schlafzeit und einer signifikanteren Reduzierung des AHI in Nicht-Rückenlage-Positionen sowie zu niedrigeren Werten auf der Epworth Sleepiness Scale. Dies unterstreicht die wachsende Bedeutung von OAT als primäre oder alternative Behandlungsoption für POSA-Patienten.
Die Langzeitwirkungen von oralen Appliances sind ebenfalls ein zentrales Forschungsthema. Eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von Chen et al. (2024) [3] untersuchte die dentoskelettalen Veränderungen, die durch die Langzeitbehandlung mit oralen Appliances bei OSA-Patienten entstehen. Die Studie ergab, dass die Langzeitbehandlung mit OAs mit einer signifikanten Abnahme des Overbites und Overjets verbunden war. Diese Veränderungen resultierten hauptsächlich aus der Retroinklination der oberen Inzisiven und der Proinklination der unteren Inzisiven. Skelettale Veränderungen waren hingegen nicht signifikant. Die Autoren betonen die Notwendigkeit, Patienten über diese potenziellen Langzeitnebenwirkungen aufzuklären und regelmäßige Kontrollen durchzuführen. Diese Erkenntnisse sind entscheidend für die Behandlungsplanung und die Patientenaufklärung in der zahnärztlichen Praxis.
Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) spielen eine wichtige Rolle bei der Standardisierung der OSA-Therapie in Deutschland. Die S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Schlafbezogene Atmungsstörungen“ (AWMF-Register-Nummer 063-001) [4] und die DGZMK-Leitlinie zur Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) [5] bieten detaillierte Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der OSA, einschließlich der Anwendung von UPS. Diese Leitlinien werden regelmäßig aktualisiert, um die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu integrieren und eine evidenzbasierte Patientenversorgung zu gewährleisten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die orale Appliance-Therapie eine zunehmend wichtige Rolle in der Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe spielt, insbesondere für Patienten, die CPAP nicht tolerieren oder bei denen eine positionelle OSA vorliegt. Die neuesten Forschungsergebnisse bestätigen die Wirksamkeit von OAs, weisen aber auch auf die Notwendigkeit hin, potenzielle dentoskelettale Nebenwirkungen zu berücksichtigen und die Patienten entsprechend aufzuklären. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Zahnmedizinern und Schlafmedizinern ist dabei von entscheidender Bedeutung, um optimale Therapieergebnisse zu erzielen.
Neue Horizonte in der Schlafmedizin
Die aktuellen Forschungsergebnisse zur OSA-Therapie mit oralen Appliances haben weitreichende praktische Implikationen für die zahnärztliche Praxis. Zahnärzte sind zunehmend in der Lage, eine Schlüsselrolle in der Diagnostik, Therapie und Prophylaxe der obstruktiven Schlafapnoe zu spielen. Die Integration der zahnärztlichen Schlafmedizin in den Praxisalltag erfordert jedoch ein Umdenken und die Anpassung bestehender Abläufe.
Diagnostik und Screening: Die zahnärztliche Untersuchung bietet eine hervorragende Gelegenheit, Patienten mit einem erhöhten Risiko für OSA zu identifizieren. Anamnestische Fragen nach Schnarchen, Tagesmüdigkeit, beobachteten Atemaussetzern und relevanten Komorbiditäten wie Bluthochdruck oder Diabetes sollten routinemäßig gestellt werden. Klinische Befunde wie eine vergrößerte Zunge, eine enge oropharyngeale Anatomie, eine retrognathe Mandibel oder eine hohe und enge Gaumenform können ebenfalls auf eine OSA hindeuten. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Schlafmedizinern ist hierbei unerlässlich. Zahnärzte sollten in der Lage sein, Patienten für eine weiterführende schlafmedizinische Diagnostik, wie die Polysomnographie, zu überweisen. Eine frühzeitige Erkennung und Intervention kann die langfristigen Gesundheitsrisiken für die Patienten erheblich reduzieren.
Therapieoptionen und Behandlungsplanung: Für Patienten mit leichter bis mittelschwerer OSA oder für solche, die CPAP nicht tolerieren, stellen Unterkieferprotrusionsschienen (UPS) eine effektive Therapieoption dar. Die Herstellung und Anpassung von individuellen UPS erfordert spezialisiertes Wissen und präzise zahntechnische Arbeit. Die Auswahl des geeigneten Schienentyps (z.B. Mandibular Advancement Devices – MADs oder Tongue Retaining Devices – TRDs) und die individuelle Titration der Protrusion sind entscheidend für den Therapieerfolg. Die aktuellen Studien, wie die von Chen et al. (2024) [3], betonen die Notwendigkeit, Patienten über mögliche dentoskelettale Nebenwirkungen der Langzeittherapie aufzuklären. Regelmäßige Nachkontrollen, sowohl zahnärztlich als auch schlafmedizinisch, sind unerlässlich, um die Wirksamkeit der Schiene zu überprüfen, Nebenwirkungen zu managen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Dies beinhaltet die Überprüfung der Okklusion, der Kiefergelenksfunktion und der oralen Weichgewebe.
Prophylaxe und Patientenaufklärung: Die Rolle des Zahnarztes in der Prophylaxe der OSA gewinnt an Bedeutung. Durch die Aufklärung der Patienten über die Risikofaktoren der OSA, wie Übergewicht, Alkoholkonsum vor dem Schlafengehen und Rückenlage, können präventive Maßnahmen ergriffen werden. Die Beratung zu Lebensstiländerungen und die Empfehlung von Positionaltherapie, insbesondere bei positioneller OSA, können einen wichtigen Beitrag leisten. Die Ergebnisse von Mohamed et al. (2024) [2] zeigen, dass Positionaltherapie eine wirksame Option sein kann, auch wenn orale Appliances oft effizienter sind. Die umfassende Patientenaufklärung über die verschiedenen Therapieoptionen und deren Vor- und Nachteile ist eine zentrale Aufgabe des Zahnarztes.
Wirtschaftliche, technische und organisatorische Auswirkungen: Die zunehmende Bedeutung der zahnärztlichen Schlafmedizin hat auch wirtschaftliche und organisatorische Auswirkungen auf die Praxis. Die Investition in Fortbildung, spezialisierte Ausrüstung für die Schienenherstellung und -anpassung sowie die Etablierung von Kooperationsnetzwerken mit Schlafmedizinern und HNO-Ärzten sind notwendig. Die Abrechnung der Leistungen im Bereich der zahnärztlichen Schlafmedizin erfordert Kenntnisse der entsprechenden Gebührenordnungen und die Kommunikation mit den Krankenkassen. Technologisch gesehen könnten digitale Abformverfahren und CAD/CAM-Technologien die Herstellung von UPS weiter optimieren und präziser gestalten, was zu einer verbesserten Passform und Patientenakzeptanz führen kann. Organisatorisch ist die Schaffung klarer interner Abläufe für das Screening, die Diagnostik, die Therapie und die Nachsorge von OSA-Patienten von großer Bedeutung, um eine effiziente und qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten.
Die Zukunft der Schlafmedizin in der Zahnarztpraxis
Die zahnärztliche Schlafmedizin ist ein dynamisches Feld, das sich kontinuierlich weiterentwickelt. Der Blick in die Zukunft offenbart vielversprechende Forschungsansätze und disruptive Technologien, die das Potenzial haben, die Diagnostik und Therapie der obstruktiven Schlafapnoe grundlegend zu verändern und die Rolle des Zahnarztes weiter zu stärken.
Laufende Studien und vielversprechende Forschungsansätze: Ein Schwerpunkt der aktuellen Forschung liegt auf der Identifizierung von Biomarkern, die eine präzisere Diagnose und eine bessere Vorhersage des Therapieerfolgs ermöglichen könnten. Studien untersuchen beispielsweise den Zusammenhang zwischen OSA und systemischer Inflammation, wobei der Fokus auf der Rolle von oxidativem Stress und Entzündungsmarkern wie Interleukinen (IL-6, IL-8) und TNF-α liegt [1]. Diese Erkenntnisse könnten zu neuen therapeutischen Strategien führen, die über die rein mechanische Atemwegsoffenhaltung hinausgehen und auf die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen abzielen. Des Weiteren wird intensiv an der Entwicklung von personalisierten Therapieansätzen geforscht, die auf den individuellen Phänotyp des Patienten zugeschnitten sind. Dies könnte die Effektivität von oralen Appliances weiter verbessern und die Nebenwirkungen minimieren.
Potenziell disruptive Technologien: Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen birgt ein enormes Potenzial für die zahnärztliche Schlafmedizin. KI-gestützte Algorithmen könnten zukünftig bei der Analyse von Schlafdaten, der Vorhersage des Therapieansprechens auf orale Appliances und der Optimierung des Schienendesigns unterstützen. Beispielsweise könnten Algorithmen auf Basis von 3D-Bilddaten der oberen Atemwege und Kieferstrukturen präzisere und effektivere Schienen entwerfen. Auch die Entwicklung neuer Biomaterialien für die Herstellung von oralen Appliances, die eine verbesserte Biokompatibilität, Haltbarkeit und Patientenakzeptanz aufweisen, ist ein vielversprechender Bereich. Tragbare Sensoren und Smart-Home-Technologien könnten die Überwachung des Schlafes und die Adhärenz zur Therapie im häuslichen Umfeld erleichtern und wertvolle Daten für die Anpassung der Behandlung liefern.
Langfristige Perspektiven für die Praxis: Langfristig wird die zahnärztliche Praxis eine noch zentralere Rolle in der interdisziplinären Versorgung von OSA-Patienten einnehmen. Die enge Zusammenarbeit mit Schlafmedizinern, HNO-Ärzten und anderen Fachdisziplinen wird weiter intensiviert. Die Zahnärzte werden nicht nur als Spezialisten für die orale Appliance-Therapie agieren, sondern auch als wichtige Ansprechpartner für das Screening, die präventive Beratung und die Langzeitbetreuung von Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen. Die kontinuierliche Fortbildung und Spezialisierung in der zahnärztlichen Schlafmedizin wird für Zahnärzte, die in diesem Bereich tätig sein möchten, unerlässlich sein. Die Vision ist eine integrierte Versorgung, in der der Zahnarzt als Teil eines multidisziplinären Teams maßgeblich zur Verbesserung der Lebensqualität und der langfristigen Gesundheit von OSA-Patienten beiträgt.
Quellen
- Gao, Y., Zhu, S., Li, W., & Lai, Y. (2025). Comparative efficacy of sleep positional therapy, oral appliance therapy, and CPAP in obstructive sleep apnea: a meta-analysis of mean changes in key outcomes. Frontiers in Medicine, 12. https://doi.org/10.3389/fmed.2025.1517274
- Mohamed, A. M. A., Mohammed, O. M., Liu, S., Al-balaa, M., Al-warafi, L. A., Peng, S. J., & Qiao, Y. Q. (2024). Oral appliance therapy vs. positional therapy for managing positional obstructive sleep apnea; a systematic review and meta-analysis of randomized control trials. BMC Oral Health, 24(1), 666. https://bmcoralhealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12903-024-04277-8
- Chen, Y., Alhozgi, A. I., & Almeida, F. R. (2024). Dentoskeletal changes of long‐term oral appliance treatment in patients with obstructive sleep apnea: A systematic review and meta‐analysis. Journal of Prosthodontics, 34(Suppl 1), 62–79. https://doi.org/10.1111/jopr.13946
- AWMF. (2017). S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Schlafbezogene Atmungsstörungen (AWMF-Register-Nummer 063-001). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/063-001.html
- DGZMK. (2021). Die Unterkieferprotrusionsschiene (UPS): Anwendung in der zahnärztlichen Schlafmedizin beim Erwachsenen. https://www.dgzmk.de/die-unterkieferprotrusionsschiene-ups-anwendung-in-der-zahnaerztlichen-schlafmedizin-beim-erwachsenen