Die Suche nach dem strahlendsten Lächeln ist so alt wie die Menschheit selbst. In den letzten Jahren hat ein ungewöhnlicher Trend die Zahnpflegewelt erobert: Zahnpasten, die Aktivkohle oder sogar Asche enthalten. Beworben mit Versprechen von natürlicher Aufhellung und Entgiftung, finden diese Produkte zunehmend ihren Weg in die Badezimmer vieler Konsumenten. Doch was steckt wirklich hinter dem dunklen Geheimnis dieser Pasten? Ist die Faszination für Kohle und Asche in der Mundhygiene ein wissenschaftlich fundierter Fortschritt oder lediglich ein cleveres Marketingphänomen?
Die Wissenschaft im Dunkeln: Was Studien wirklich sagen
Der aktuelle Forschungsstand zu Aktivkohle in Zahnpasten ist, trotz des regen Interesses, noch immer begrenzt und teilweise widersprüchlich. Die meisten verfügbaren Studien sind In-vitro-Untersuchungen, die zwar erste Hinweise liefern, aber nicht direkt auf die komplexen Bedingungen im menschlichen Mund übertragbar sind. Systematische Übersichtsarbeiten, die die vorhandene Evidenz zusammenfassen, zeichnen ein differenziertes Bild.
Eine systematische Übersichtsarbeit von Tomás et al. aus dem Jahr 2023 untersuchte die Wirksamkeit und Abrasivität von Aktivkohle in Zahnpasten zur Zahnaufhellung 1, 2. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass Aktivkohle-Zahnpasten einen geringeren Aufhellungseffekt als andere Alternativen aufweisen. Zudem wurden sie aufgrund ihres hohen abrasiven Potenzials als weniger sicher eingestuft. Die Mehrheit der in dieser Übersichtsarbeit eingeschlossenen Studien zeigte keine signifikanten Veränderungen der Zahnfarbe nach der Anwendung kommerziell erhältlicher Aktivkohle-Zahnpasten. Ein wichtiger Kritikpunkt dieser Analyse war das mittlere bis hohe Verzerrungsrisiko (Risk of Bias) der ausgewählten Studien, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt.
Eine weitere In-vitro-Studie von Bardellini et al. aus dem Jahr 2025 verglich die Aufhellungswirkung von Aktivkohle-Zahnpasta mit einem 6%igen Wasserstoffperoxid-Aufhellungsstift 3. Die Ergebnisse zeigten, dass die Aktivkohle-Zahnpasta zwar einen allmählichen Aufhellungseffekt hatte, dieser jedoch nach den ersten zwei Wochen stagnierte und insgesamt begrenzt war. Im Gegensatz dazu führte der Wasserstoffperoxid-Stift zu einer sofortigen und erheblichen Aufhellung. Die Studie schlussfolgerte, dass der Wasserstoffperoxid-Stift signifikant effektiver war. Dies unterstreicht, dass die Aufhellung durch Aktivkohle, wenn überhaupt, primär auf der Entfernung extrinsischer Verfärbungen durch mechanische Abrasion beruht und nicht auf einer chemischen Aufhellung der Zahnsubstanz.
Bezüglich der Verwendung von Asche in Zahnpasten ist die wissenschaftliche Evidenz noch spärlicher. Eine Studie von Hilgenberg et al. aus dem Jahr 2011 untersuchte zwar die physikalisch-chemischen Eigenschaften von aufhellenden Zahnpasten, einschließlich ihres Aschegehalts, jedoch nicht Asche als aktiven Inhaltsstoff zur Zahnaufhellung 4. Der Aschegehalt wurde hier als analytischer Parameter zur Charakterisierung der Zahnpasten herangezogen und nicht als Wirkstoff. Historisch wurde Asche zwar in frühen Zahnpflegeprodukten verwendet, moderne wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirksamkeit und Sicherheit von Asche als aktivem Bestandteil in Zahnpasten fehlen jedoch weitgehend. Die Abrasivität von Asche kann je nach Herkunft und Verarbeitung stark variieren und birgt ein hohes Risiko für Zahnschmelzschäden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit von Aktivkohle-Zahnpasten zur Zahnaufhellung schwach ist und Bedenken hinsichtlich ihrer Abrasivität bestehen. Für Asche in Zahnpasten gibt es praktisch keine moderne, evidenzbasierte Forschung, die ihre Anwendung rechtfertigen würde. Die versprochenen „Whitening effects“ scheinen eher auf einer oberflächlichen Reinigung durch Abrieb zu basieren als auf einer tatsächlichen Aufhellung der Zahnfarbe.
Die Konsequenzen für die Praxis
Die Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung haben direkte Implikationen für die zahnärztliche Praxis und die Beratung von Patienten. Angesichts der begrenzten und oft widersprüchlichen Evidenz zur Wirksamkeit von Aktivkohle-Zahnpasten und der fehlenden wissenschaftlichen Grundlage für Asche-basierte Produkte sollten Zahnärzte und ihr Team eine klare Haltung einnehmen.
Beratung und Aufklärung: Es ist von entscheidender Bedeutung, Patienten proaktiv über die Risiken und den mangelnden Nutzen von Aktivkohle- und Asche-Zahnpasten aufzuklären. Viele Patienten sind durch Marketingaussagen und soziale Medien beeinflusst und suchen nach „natürlichen“ oder „schnellen“ Lösungen für weißere Zähne. Zahnärzte sollten betonen, dass die beworbenen Aufhellungseffekte von Aktivkohle-Zahnpasten primär auf der Entfernung extrinsischer Verfärbungen durch mechanischen Abrieb beruhen. Dieser Abrieb kann bei unsachgemäßer Anwendung oder bei Produkten mit hohem Abrasionsgrad zu Zahnschmelzschäden, Dentin-Exposition und erhöhter Dentin-Hypersensibilität führen 5. Besonders kritisch ist der Umstand, dass viele dieser Produkte kein Fluorid enthalten, welches für die Kariesprophylaxe unerlässlich ist. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass der Verzicht auf Fluorid-Zahnpasten das Kariesrisiko erhöht.
Diagnostik und Therapieanpassung: Bei Patienten, die bereits Aktivkohle-Zahnpasten verwenden, ist eine sorgfältige Untersuchung des Zahnschmelzes und des Zahnfleisches ratsam. Anzeichen von Abrasion, Rezessionen oder erhöhter Sensibilität könnten auf die Verwendung solcher Produkte hindeuten. In solchen Fällen sollte die Empfehlung zur Umstellung auf eine evidenzbasierte, fluoridhaltige Zahnpasta erfolgen. Für eine effektive und sichere Zahnaufhellung sollten zahnärztliche Bleaching-Verfahren oder professionelle Zahnreinigungen als überlegene Alternativen angeboten werden, da diese unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden und nachweislich wirksam sind.
Wirtschaftliche und technische Auswirkungen: Die Popularität von Aktivkohle-Zahnpasten kann auch wirtschaftliche Auswirkungen auf die Praxis haben. Patienten könnten weniger bereit sein, in professionelle Aufhellungsverfahren zu investieren, wenn sie glauben, mit OTC-Produkten ähnliche Ergebnisse erzielen zu können. Es ist die Aufgabe des Zahnarztes, die Überlegenheit und Sicherheit professioneller Behandlungen klar zu kommunizieren. Technisch gesehen erfordern Zahnschmelzschäden durch abrasive Zahnpasten möglicherweise restaurative Maßnahmen, was zusätzliche Behandlungen und Kosten für den Patienten bedeuten kann.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Integration von Aktivkohle- und Asche-Zahnpasten in die tägliche Mundhygiene der Patienten eine Herausforderung darstellt, die eine proaktive und evidenzbasierte Aufklärung seitens des zahnärztlichen Teams erfordert. Die Priorität sollte stets auf der Erhaltung der Zahngesundheit und der Anwendung wissenschaftlich fundierter Prophylaxe- und Therapiemaßnahmen liegen.
Innovationen und ungelöste Fragen
Die Diskussion um Aktivkohle und Asche in Zahnpasten lenkt den Blick auf die Notwendigkeit kontinuierlicher Forschung und Innovation in der Zahnmedizin. Während die aktuellen Erkenntnisse die Skepsis gegenüber diesen speziellen Produkten untermauern, gibt es vielversprechende Forschungsansätze und Technologien, die das Potenzial haben, die Diagnostik, Therapie und Prophylaxe in der Zahnmedizin nachhaltig zu verändern.
Ein wichtiger Bereich zukünftiger Forschung ist die Entwicklung neuer, sicherer und effektiver Aufhellungsmethoden. Dies könnte die Erforschung von Substanzen mit geringerer Abrasivität, aber hoher Reinigungswirkung umfassen, oder die Optimierung von Bleaching-Verfahren, um Nebenwirkungen zu minimieren und die Langzeitstabilität der Ergebnisse zu verbessern. Auch die Rolle von Biomaterialien, die zur Remineralisierung des Zahnschmelzes beitragen und dessen Widerstandsfähigkeit gegenüber Abrasion erhöhen könnten, ist von großem Interesse. Die Entwicklung von Zahnpasten, die nicht nur reinigen und aufhellen, sondern aktiv zur Stärkung der Zahnstruktur beitragen, wäre ein signifikanter Fortschritt.
Darüber hinaus könnten disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) eine immer größere Rolle spielen. KI-gestützte Diagnosesysteme könnten beispielsweise frühzeitig Anzeichen von Zahnschmelzschäden erkennen, die durch abrasive Zahnpasten verursacht werden, und personalisierte Empfehlungen für die Mundhygiene geben. Auch in der Entwicklung neuer Zahnpflegeprodukte könnte KI eingesetzt werden, um Inhaltsstoffe und Formulierungen zu optimieren und deren Wirksamkeit und Sicherheit präzise vorherzusagen. Dies würde den Entwicklungsprozess beschleunigen und die Einführung von Produkten mit nachweislichem Nutzen fördern.
Langfristig wird die Zahnmedizin weiterhin auf evidenzbasierten Praktiken aufbauen. Die kontinuierliche Überprüfung und Anpassung von Empfehlungen auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ist unerlässlich. Dies beinhaltet auch die kritische Auseinandersetzung mit Trends und Marketingversprechen, die nicht durch solide Forschung untermauert sind. Die Aufklärung der Öffentlichkeit über wissenschaftlich fundierte Mundhygiene und die Risiken unbewiesener Methoden bleibt eine zentrale Aufgabe für Zahnmediziner. Nur so kann sichergestellt werden, dass Patienten die bestmögliche Versorgung erhalten und ihre Zahngesundheit langfristig geschützt wird.
Das Fazit: Ein klares Lächeln braucht keine Kohle
Die Faszination für Aktivkohle und Asche in Zahnpasten ist verständlich, entspringt sie doch dem Wunsch nach einem strahlenden Lächeln und dem Glauben an natürliche Lösungen. Doch die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig: Weder Aktivkohle noch Asche bieten einen nachweisbaren Vorteil gegenüber herkömmlichen, fluoridhaltigen Zahnpasten in Bezug auf die Zahnaufhellung. Im Gegenteil, ihr abrasives Potenzial birgt erhebliche Risiken für die Zahngesundheit, insbesondere für den Zahnschmelz. Die Versprechen von „Detox“ und „natürlicher Aufhellung“ sind weitgehend unbegründet und können zu irreversiblen Schäden führen.
Für Zahnmediziner bedeutet dies eine klare Verantwortung: Patienten müssen aktiv über die Gefahren und den mangelnden Nutzen dieser Produkte aufgeklärt werden. Die Priorität sollte auf bewährten Prophylaxemaßnahmen liegen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, wie der regelmäßigen Anwendung fluoridhaltiger Zahnpasten und professionellen Zahnreinigungen. Für eine effektive und sichere Zahnaufhellung stehen in der Praxis erprobte und wissenschaftlich fundierte Methoden zur Verfügung. Ein gesundes, strahlendes Lächeln ist das Ergebnis sorgfältiger Pflege und evidenzbasierter zahnmedizinischer Betreuung – und dafür braucht es keine Kohle oder Asche, sondern Wissen und Präzision.
Quellen
- Tomás, D. B. M., Pecci-Lloret, M. P., & Guerrero-Gironés, J. (2023). Effectiveness and abrasiveness of activated charcoal as a whitening agent: A systematic review of in vitro studies. Annals of Anatomy - Anatomischer Anzeiger, 245, 151998. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36183933/
- Tomás, D. B. M., Pecci-Lloret, M. P., & Guerrero-Gironés, J. (2023). Effectiveness and abrasiveness of activated charcoal as a whitening agent: A systematic review of in vitro studies. Annals of Anatomy - Anatomischer Anzeiger, 245, 151998. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0940960222001133
- Bardellini, E., Marchetti, S., Bordanzi, A., Zanini, S., Majorana, A., & Conti, G. (2025). Effectiveness of Activated Charcoal Toothpaste vs. 6% Hydrogen Peroxide Whitening Pen—An In Vitro Study. Dentistry Journal, 13(5), 216. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC12109725/
- Hilgenberg, S. P., Pinto, S. C. S., Farago, P. V., Santos, F. A., & Wambier, D. S. (2011). Physical-chemical characteristics of whitening toothpaste and evaluation of its effects on enamel roughness. Brazilian Oral Research, 25(4), 300-305. https://www.scielo.br/j/bor/a/mbvp4rwWJfTnRXDkBNmf3Pj/?format=html
- Lemke, D. D. S. (2022). Charcoal Toothpastes Pose Risks with Few Benefits. Journal of the Michigan Dental Association, 104(5), 7. https://commons.ada.org/journalmichigandentalassociation/vol104/iss5/7/