Ein Biss in die Zukunft

Ein Biss in die Zukunft

| 16.5.2025 |

Die Bedeutung der Ernährung für die allgemeine Gesundheit ist unbestreitbar, doch ihr tiefgreifender Einfluss auf die Zahngesundheit wird oft unterschätzt. Karies und Parodontitis, die häufigsten oralen Erkrankungen, sind nicht allein das Ergebnis mangelnder Mundhygiene, sondern spiegeln auch wider, was wir täglich zu uns nehmen.

Neue Einblicke in Karies und Parodontitis

Der Zusammenhang zwischen Ernährung und oralen Erkrankungen ist seit Langem bekannt, doch aktuelle Forschungsergebnisse der letzten fünf Jahre vertiefen unser Verständnis erheblich und offenbaren neue Facetten dieser komplexen Beziehung. Im Fokus stehen dabei insbesondere die Auswirkungen von Zucker und die Rolle des oralen Mikrobioms. Studien belegen eindrücklich, dass übermäßiger Zuckerkonsum nicht nur das Kariesrisiko drastisch erhöht, sondern auch maßgeblich zur Entstehung und Progression von Parodontitis beiträgt 1, 2. Die American Dental Association (ADA) betont in einem aktuellen Bericht, dass selbst geringe Mengen Zucker das Risiko für Zahnfäule steigern können 3.

Ein zentraler Aspekt der modernen Forschung ist die Interaktion zwischen Ernährung und dem oralen Mikrobiom. Das orale Mikrobiom, die Gemeinschaft von Mikroorganismen in unserem Mund, spielt eine entscheidende Rolle für die Mundgesundheit. Eine ausgewogene Ernährung fördert ein gesundes Mikrobiom, während eine zuckerreiche und ballaststoffarme Ernährung zu einer Dysbiose führen kann – einem Ungleichgewicht, das pathogene Bakterien begünstigt 4, 5. Neuere Studien zeigen, dass eine solche Dysbiose nicht nur Karies und Parodontitis fördert, sondern auch systemische Auswirkungen haben kann, da orale Bakterien in den Blutkreislauf gelangen und Entzündungen im gesamten Körper auslösen können 6.

Forschungsergebnisse der Universität Buffalo (2025) untersuchten beispielsweise den Zusammenhang zwischen der Qualität der Ernährung und dem oralen Mikrobiom bei postmenopausalen Frauen und lieferten neue Erkenntnisse über die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung für die Aufrechterhaltung eines gesunden oralen Ökosystems 7. Eine weitere Studie (Nature, 2025) hob hervor, dass neben der Ernährung auch Speichel-pH-Wert und Fluoridexposition wichtige Faktoren sind, die das orale Mikrobiom beeinflussen 8.

Kontrovers diskutiert wird bisweilen die genaue Kausalität zwischen bestimmten Ernährungsmustern und parodontalen Erkrankungen, da Parodontitis eine multifaktorielle Erkrankung ist. Dennoch zeigen Interventionsstudien, in denen Probanden auf Zucker verzichteten, eine signifikante Reduktion von Zahnfleischentzündungen, selbst bei gleichbleibendem Zahnbelag 2. Dies unterstreicht die direkte entzündungsfördernde Wirkung von Zucker, unabhängig von seiner Rolle bei der Kariesentstehung. Die Forschung zur mediterranen Ernährung als potenzieller Schutzfaktor gegen Karies und Parodontitis gewinnt ebenfalls an Bedeutung, da sie reich an entzündungshemmenden und antioxidativen Nährstoffen ist 9.

Die Erkenntnis, dass die Mundgesundheit und die allgemeine Gesundheit in einer bidirektionalen Beziehung stehen, wird durch aktuelle Studien weiter untermauert 10. Zahnärzte sind oft die ersten, die Anzeichen einer ungesunden Ernährung erkennen, da übermäßiger Zuckerkonsum zuerst die Zähne schädigt 1. Diese Verbindung eröffnet neue Möglichkeiten für eine ganzheitliche Patientenversorgung, bei der die Ernährungsberatung eine zentrale Rolle spielt.

Neue Wege der zahnmedizinischen Beratung

Die gewonnenen Erkenntnisse über den engen Zusammenhang zwischen Ernährung und Zahngesundheit haben weitreichende praktische Implikationen für die zahnmedizinische Praxis. Die Ernährungsberatung sollte nicht länger als Randthema betrachtet werden, sondern als integraler Bestandteil der Prävention, Diagnostik und Therapie. Dies erfordert eine Neuausrichtung in der Ausbildung und im Praxisalltag.

Konkrete Handlungsempfehlungen für Zahnarztpraxen:

  1. Integration in die Anamnese: Die Erfassung der Ernährungsgewohnheiten sollte standardmäßig in die Anamnese integriert werden. Spezifische Fragen zu Zuckerkonsum, Häufigkeit von Zwischenmahlzeiten und dem Verzehr säurehaltiger Lebensmittel können erste Hinweise auf Risikofaktoren geben. Tools wie Ernährungsfragebögen oder -tagebücher können hierbei unterstützen.
  2. Individualisierte Ernährungsberatung: Basierend auf der Anamnese sollte eine individualisierte Ernährungsberatung erfolgen. Dabei geht es nicht um strikte Verbote, sondern um die Vermittlung von Wissen und die Entwicklung von praktikablen Strategien zur Reduktion von Risikofaktoren. Der Fokus sollte auf einer ausgewogenen, vollwertigen Ernährung liegen, die reich an Ballaststoffen und arm an zugesetztem Zucker ist. Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, maximal 25 Gramm Zucker pro Tag zu sich zu nehmen, sollte aktiv kommuniziert werden 2.
  3. Schulung des Praxisteams: Das gesamte Praxisteam, von der Zahnärztin bis zur Prophylaxeassistentin, sollte im Bereich Ernährungszahnmedizin geschult werden. Dies ermöglicht eine konsistente und kompetente Beratung der Patienten und stärkt die Rolle der Praxis als Gesundheitsberater.
  4. Zusammenarbeit mit Ernährungsfachkräften: Bei komplexen Fällen oder Patienten mit spezifischen Ernährungsbedürfnissen (z.B. Diabetes, Essstörungen) kann die Zusammenarbeit mit qualifizierten Ernährungsfachkräften sinnvoll sein. Dies gewährleistet eine umfassende Betreuung und entlastet die Praxis.
  5. Patientenmaterialien und Aufklärungskampagnen: Die Bereitstellung von leicht verständlichen Patientenmaterialien (Broschüren, Infografiken) und die Durchführung von Aufklärungskampagnen in der Praxis können das Bewusstsein für die Bedeutung der Ernährung schärfen und die Patienten zur aktiven Mitarbeit motivieren.

Auswirkungen auf Diagnostik, Therapie und Prophylaxe:

Die neuen Erkenntnisse verändern die zahnmedizinische Praxis in mehrfacher Hinsicht:

  • Diagnostik: Neben der klassischen Karies- und Parodontitisdiagnostik rückt die frühzeitige Erkennung ernährungsbedingter Risikofaktoren in den Vordergrund. Dies kann die Identifizierung von Patienten mit erhöhtem Risiko für orale Erkrankungen ermöglichen, noch bevor klinische Symptome auftreten.
  • Therapie: Die Therapie von Karies und Parodontitis wird durch die Integration der Ernährungsberatung ganzheitlicher. Neben restaurativen Maßnahmen und parodontalen Behandlungen wird die Ernährungsumstellung zu einem essenziellen Bestandteil des Therapiekonzepts, um Rezidive zu vermeiden und langfristige Erfolge zu sichern.
  • Prophylaxe: Die Ernährungsberatung wird zu einer tragenden Säule der zahnmedizinischen Prophylaxe. Sie ergänzt die mechanische Mundhygiene und Fluoridierungsmaßnahmen und bietet einen kausalen Ansatz zur Prävention von oralen Erkrankungen. Die Betonung einer zahngesunden Ernährung kann die Notwendigkeit invasiver Behandlungen reduzieren und die Mundgesundheit nachhaltig verbessern.

Wirtschaftliche, technische oder organisatorische Auswirkungen:

Die Implementierung einer umfassenden Ernährungsberatung kann zunächst Investitionen in Schulungen und Materialien erfordern. Langfristig ergeben sich jedoch erhebliche Vorteile: Eine verbesserte Prävention führt zu weniger Behandlungsbedarf, was sowohl für Patienten als auch für das Gesundheitssystem wirtschaftlich vorteilhaft ist. Technisch können digitale Tools zur Ernährungsanalyse und -beratung die Effizienz steigern. Organisatorisch erfordert es eine klare Definition von Verantwortlichkeiten und Prozessen innerhalb der Praxis, um die Ernährungsberatung nahtlos in den Arbeitsablauf zu integrieren. Die Gründung von Fachgesellschaften wie der D-A-CH-Gesellschaft für Ernährungszahnmedizin e.V. 1 zeigt die wachsende Bedeutung dieses Feldes und bietet eine Plattform für den Austausch und die Weiterentwicklung.

Ernährung als Schlüssel zur oralen Gesundheit der Zukunft

Die Ernährungszahnmedizin steht an der Schwelle zu einer neuen Ära, in der die Prävention und Therapie oraler Erkrankungen durch einen ganzheitlichen Ansatz revolutioniert werden könnten. Laufende Studien und vielversprechende Forschungsansätze konzentrieren sich auf die weitere Entschlüsselung der komplexen Wechselwirkungen zwischen Ernährung, oralem Mikrobiom und systemischer Gesundheit. Insbesondere die personalisierte Medizin, die individuelle genetische Prädispositionen und mikrobielle Profile berücksichtigt, wird in Zukunft eine größere Rolle spielen.

Laufende Studien und vielversprechende Forschungsansätze:

  • Personalisierte Ernährungsstrategien: Die Forschung bewegt sich weg von allgemeinen Empfehlungen hin zu maßgeschneiderten Ernährungsplänen, die auf dem individuellen oralen Mikrobiom und genetischen Markern basieren. Dies könnte eine noch präzisere Prävention und Therapie von Karies und Parodontitis ermöglichen.
  • Präbiotika und Probiotika: Die gezielte Modulation des oralen Mikrobioms durch Präbiotika (Nahrung für nützliche Bakterien) und Probiotika (nützliche Bakterien selbst) ist ein vielversprechendes Forschungsfeld. Studien untersuchen, wie diese Substanzen das Gleichgewicht der Mundflora positiv beeinflussen und so das Risiko für orale Erkrankungen reduzieren können 11.
  • Interdisziplinäre Ansätze: Die Zusammenarbeit zwischen Zahnmedizinern, Ernährungsberatern, Mikrobiologen und anderen medizinischen Fachrichtungen wird intensiviert, um ein umfassendes Verständnis der oral-systemischen Zusammenhänge zu entwickeln und integrierte Behandlungsstrategien zu etablieren.

Potenziale disruptiver Technologien:

  • Künstliche Intelligenz (KI): KI könnte in Zukunft eine entscheidende Rolle bei der Analyse großer Datenmengen spielen, um Muster in Ernährungsdaten und oralen Gesundheitszuständen zu erkennen. Dies könnte die Entwicklung prädiktiver Modelle für das Karies- und Parodontitisrisiko ermöglichen und personalisierte Ernährungsberatungen optimieren. KI-gestützte Apps könnten Patienten dabei unterstützen, ihre Ernährungsgewohnheiten zu überwachen und anzupassen.
  • Biomaterialien und Bioengineering: Die Entwicklung neuer Biomaterialien, die das orale Mikrobiom positiv beeinflussen oder die Remineralisierung des Zahnschmelzes fördern, könnte die präventiven und therapeutischen Möglichkeiten erweitern. Ansätze des Bioengineerings könnten darauf abzielen, die natürliche Widerstandsfähigkeit der Zähne gegenüber säurebedingten Angriffen zu verbessern.

Langfristige Perspektiven für die Praxis:

Die langfristige Perspektive für die zahnmedizinische Praxis ist eine stärkere Betonung der präventiven und ganzheitlichen Medizin. Die Ernährungsberatung wird zu einem unverzichtbaren Bestandteil des zahnärztlichen Leistungsspektrums, der über die reine Symptombehandlung hinausgeht. Zahnärzte werden zunehmend als „Gatekeeper“ der allgemeinen Gesundheit agieren, die durch die frühzeitige Erkennung und Intervention bei ernährungsbedingten oralen Problemen einen wichtigen Beitrag zur Prävention systemischer Erkrankungen leisten können. Dies erfordert eine kontinuierliche Weiterbildung des Praxisteams und eine Offenheit für neue Technologien und interdisziplinäre Kooperationen. Die Zukunft der Zahngesundheit liegt in einem integrierten Ansatz, der die Ernährung als einen der mächtigsten Hebel für ein gesundes Lächeln und einen gesunden Körper erkennt und nutzt.

Quellen
  1. Uniklinikum Dresden. (2024, September 25). Ernährungszahnmedizin – wie sich ein neues Fach am Uniklinikum entwickelt. https://www.uniklinikum-dresden.de/de/presse/aktuelle-medien-informationen/ernaehrungszahnmedizin-wie-sich-ein-neues-fach-am-uniklinikum-entwickelt
  2. Thieme. (2024, Oktober 23). Karies, Parodontitis und Ernährung. https://natuerlich.thieme.de/aktuelles/nachrichten/detail/karies-parodontitis-und-ernaehrung-3784
  3. American Dental Association. (2025, Februar 11). ADA ‘generally supports’ Dietary Guidelines science report. https://adanews.ada.org/ada-news/2025/february/ada-generally-supports-dietary-guidelines-science-report/
  4. MDPI. (2024, September). Oral Microbiome: A Review of Its Impact on Oral and Systemic Health. https://www.mdpi.com/2076-2607/12/9/1797
  5. NY Laser Dentistry. (n.d.). Importance of Oral Microbiome in Periodontal Health and Disease. https://www.nylaserdentistry.com/importance-of-the-oral-microbiome-in-periodontal-health-and-disease/
  6. Frontiers. (2023, März 30). Characterization of the oral microbiome and gut microbiota in children with early childhood caries. https://www.frontiersin.org/journals/microbiology/articles/10.3389/fmicb.2023.1081629/full
  7. University at Buffalo. (2025, April 15). Study examines how diet quality impacts oral microbiome. https://www.buffalo.edu/news/news-releases.host.html/content/shared/university/news/ub-reporter-articles/stories/2025/04/diet-quality-oral-microbiome.detail.html
  8. Nature. (2025, Mai 28). The influence of diet, saliva, and dental history on the oral microbiome. https://www.nature.com/articles/s41598-025-03455-0
  9. Taylor & Francis Online. (2024, März 20). Mediterranean diet: a potential player in the link between oral and systemic health. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/20002297.2024.2329474
  10. American Dental Association. (2023, August 30). Nutrition and Oral Health. https://www.ada.org/resources/ada-library/oral-health-topics/nutrition-and-oral-health
  11. Nature. (2024, Februar 24). How probiotics, prebiotics, synbiotics, and postbiotics prevent dental caries: a review. https://www.nature.com/articles/s41522-024-00488-7
  • Immer professionell behandelt. Ich bin seit ca. 40 Jahren dort zufriedener Kunde bei Dr. Lentrodt senior wie auch in den letzten Jahren beim Junior. Dank der guten Behandlung vor 40 Jahren und seitdem sind meine Zähne immer noch pico bello.Mag sein, dass die berechneten Honorare eher im oberen Bereich sind (das hörte ich von anderen Kunden dieses Zahnarztes), aber ich glaube, das ist durch die Qualität gerechtfertigt.

    5 von 5 Sternen
  • Sehr kompetente Beratung und Behandlung. Dabei sehr nett - wie auch das gesamte Praxisteam.Von der Praxisorganisation über die Ausstattung bis zu Beratung und Behandlung durchweg perfekt.Besser geht es nicht - meine unbedingte Empfehlung!

    5 von 5 Sternen
  • Alles Top! Vielen Dank!

    5 von 5 Sternen