Die moderne Zahnmedizin steht an der Schwelle zu einer neuen Ära der Präzision und Diagnostik. Während zweidimensionale Röntgenbilder lange Zeit das Rückgrat der zahnärztlichen Bildgebung bildeten, ermöglicht die digitale Volumentomographie (DVT), auch bekannt als Cone Beam Computed Tomography (CBCT), einen dreidimensionalen Blick in die komplexen Strukturen des Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereichs. Diese innovative Technologie hat das Potenzial, die Art und Weise, wie Zahnärzte Diagnosen stellen, Behandlungen planen und den Therapieerfolg bewerten, grundlegend zu verändern. Die DVT liefert detaillierte anatomische Informationen, die mit herkömmlichen Methoden nicht zu gewinnen wären, und eröffnet damit neue Möglichkeiten für eine individualisierte und sicherere Patientenversorgung.
Ein Blick hinter die Kulissen: Was die Wissenschaft über DVT sagt
Die digitale Volumentomographie (DVT) hat sich in den letzten Jahren als unverzichtbares Werkzeug in verschiedenen zahnmedizinischen Disziplinen etabliert. Aktuelle systematische Reviews und Metaanalysen unterstreichen die wachsende Evidenzbasis für ihren Einsatz, zeigen aber auch Limitationen und Bereiche auf, in denen weiterer Forschungsbedarf besteht. Ein zentrales Thema ist die verbesserte diagnostische Genauigkeit im Vergleich zu konventionellen zweidimensionalen Röntgenaufnahmen, insbesondere bei komplexen Fragestellungen. So hat sich die DVT beispielsweise in der Endodontie als überlegen erwiesen, wenn es um die Detektion und Charakterisierung periapikaler Läsionen geht 1, 2. Studien zeigen, dass DVT-Aufnahmen periapikale Läsionen mit höherer Genauigkeit identifizieren können als herkömmliche Röntgenbilder, was zu einer präziseren Behandlungsplanung und -bewertung führt 2. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die mit DVT ermittelten Erfolgsraten für Wurzelkanalbehandlungen unter strengen Kriterien niedriger ausfallen können als die mit herkömmlichen Röntgenbildern ermittelten, was auf die höhere Sensitivität der DVT zurückzuführen ist 2.
Ein weiterer vielversprechender Bereich ist die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) zur Analyse von DVT-Bildern. Aktuelle systematische Reviews und Metaanalysen, die bis Mai 2025 reichen, zeigen, dass Deep-Learning-Algorithmen erfolgreich zur Segmentierung von Zähnen aus CT/CBCT-Bildern eingesetzt werden können 3. Dies hat das Potenzial, die Effizienz und Genauigkeit der Diagnostik zu verbessern und den Arbeitsaufwand für Zahnärzte zu reduzieren. Die Forschung in diesem Bereich ist jedoch noch jung, und es bedarf weiterer Studien mit standardisierten Protokollen und offen zugänglichen Datensätzen, um die Validität und Übertragbarkeit dieser KI-Anwendungen zu gewährleisten 3.
Die Strahlenexposition ist ein kritischer Aspekt bei jeder Röntgenuntersuchung. Die AWMF S2k-Leitlinie zur dentalen digitalen Volumentomographie (Stand Dezember 2022) betont die Notwendigkeit, das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) zu beachten und die DVT nur bei klarer Indikation einzusetzen 4. Obwohl die DVT im Vergleich zur konventionellen Computertomographie (CT) eine geringere Strahlenbelastung aufweist, ist sie höher als bei zweidimensionalen Röntgenaufnahmen. Daher ist eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiko unerlässlich. Kontroversen bestehen weiterhin hinsichtlich der routinemäßigen Anwendung der DVT für bestimmte Indikationen, bei denen der zusätzliche diagnostische Nutzen im Verhältnis zur erhöhten Strahlenbelastung noch nicht ausreichend belegt ist. Beispielsweise wird die routinemäßige Anwendung der DVT zur Beurteilung des Therapieerfolgs von Wurzelkanalbehandlungen kontrovers diskutiert, da die Ergebnisse unter lockeren Kriterien ähnlich denen von periapikalen Röntgenbildern sind, während unter strengen Kriterien zwar eine höhere Sensitivität der DVT gezeigt wird, aber die klinische Relevanz für den routinemäßigen Einsatz noch diskutiert wird 2.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Prävalenz von Zufallsbefunden (incidental findings) bei DVT-Aufnahmen. Eine systematische Übersichtsarbeit hat gezeigt, dass bei CBCT-Aufnahmen häufig Zufallsbefunde entdeckt werden, die nicht im primären Fokus der Untersuchung standen 5. Diese können von harmlosen anatomischen Variationen bis hin zu potenziell pathologischen Veränderungen reichen, die eine weitere Abklärung erfordern. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden Befundung durch geschultes Personal und die Kenntnis der möglichen Auswirkungen solcher Befunde auf die Patientenversorgung. Die kritische Bewertung der Studienlage zeigt, dass, obwohl die DVT eine Fülle an diagnostischen Informationen liefert, die Interpretation und die klinische Relevanz dieser Informationen stets im Kontext des individuellen Patientenfalls und unter Berücksichtigung des ALARA-Prinzips erfolgen muss.
DVT in der Praxis: Neue Wege für Diagnostik und Therapie
Die Integration der digitalen Volumentomographie in den zahnärztlichen Alltag hat weitreichende praktische Implikationen, die von der präziseren Diagnostik bis zur optimierten Behandlungsplanung reichen. Eine der offensichtlichsten Veränderungen betrifft die Implantologie. Die DVT ermöglicht eine exakte dreidimensionale Darstellung des Kieferknochens, einschließlich Knochenqualität, -quantität und der Lage anatomischer Strukturen wie Nerven und Kieferhöhlen 4. Dies ist entscheidend für die sichere und präzise Platzierung von Implantaten, da es das Risiko von Komplikationen minimiert und die Vorhersagbarkeit des Behandlungserfolgs erhöht. Low-Dose-CBCT-Protokolle in der Implantologie zeigen vielversprechende Ergebnisse, indem sie eine ähnliche Leistung wie Protokolle mit höherer Dosis bieten, was die Strahlenbelastung für den Patienten reduziert 6.
In der Endodontie hat die DVT die Diagnostik und Behandlungsplanung revolutioniert. Die Fähigkeit, komplexe Wurzelkanalanatomien, zusätzliche Kanäle, Frakturen und periapikale Läsionen dreidimensional darzustellen, ist von unschätzbarem Wert 4, 8. Dies führt zu einer höheren Erfolgsquote bei Wurzelkanalbehandlungen und Revisionen, da der Behandler eine umfassendere Kenntnis der anatomischen Gegebenheiten erhält. Die DVT ist auch hilfreich bei der Lokalisierung von Fremdkörpern oder der Beurteilung von Zahntraumata 4.
Für die Kieferorthopädie bietet die DVT detaillierte Informationen über die Position retinierter oder verlagerter Zähne, die Beziehung zu benachbarten Strukturen und die Beurteilung von Kieferanomalien 4. Dies ermöglicht eine präzisere kieferorthopädische Planung und die Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen während der Behandlung. Auch in der Parodontologie kann die DVT zur Beurteilung des Knochenabbaus und der Knochendefekte eingesetzt werden, was eine genauere Planung parodontaler Therapien ermöglicht 4.
Die wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Auswirkungen der DVT sind ebenfalls signifikant. Die Anschaffung eines DVT-Geräts stellt eine erhebliche Investition dar, die jedoch durch die erweiterten diagnostischen Möglichkeiten und die verbesserte Behandlungsqualität gerechtfertigt werden kann. Technisch erfordert die DVT eine entsprechende Schulung des Personals im Umgang mit der Software und der Interpretation der dreidimensionalen Bilder. Organisatorisch müssen Praxen Prozesse für die Bildaufnahme, -speicherung und -befundung etablieren, die den Strahlenschutzrichtlinien entsprechen. Die Integration der DVT in den digitalen Workflow der Praxis, beispielsweise durch die Kombination mit intraoralen Scans und CAD/CAM-Technologien, eröffnet weitere Potenziale für eine effiziente und präzise Patientenversorgung.
Die Zukunft im Blick: DVT als Wegbereiter für Innovationen
Die Entwicklung der digitalen Volumentomographie ist noch lange nicht abgeschlossen. Laufende Studien und vielversprechende Forschungsansätze deuten auf eine Zukunft hin, in der die DVT eine noch zentralere Rolle in der Zahnmedizin spielen wird. Ein Schwerpunkt liegt auf der weiteren Reduzierung der Strahlenexposition bei gleichzeitiger Verbesserung der Bildqualität. Fortschritte in der Detektortechnologie und der Rekonstruktionsalgorithmen werden dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Die Entwicklung von Ultra-Low-Dose-CBCT-Protokollen, die eine diagnostische Bildgebung mit einer Strahlenbelastung ermöglichen, die der von zweidimensionalen Aufnahmen nahekommt, ist ein vielversprechender Forschungsbereich.
Ein weiteres Feld von immenser Bedeutung ist die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI). Wie bereits erwähnt, zeigen erste Studien, dass KI-Algorithmen in der Lage sind, Zähne und andere anatomische Strukturen aus DVT-Bildern zu segmentieren 3. Dies ist nur der Anfang. Zukünftige KI-Anwendungen könnten die automatische Detektion von Pathologien, die Vorhersage des Therapieerfolgs, die Erstellung individualisierter Behandlungspläne und sogar die Simulation von chirurgischen Eingriffen umfassen. Die Kombination von DVT-Daten mit anderen Patientendaten, wie genetischen Informationen oder Biomarkern, könnte zu einer noch präziseren und personalisierten Medizin führen. Die Entwicklung von Biomaterialien und regenerativen Therapien, die auf den präzisen Informationen der DVT basieren, wird ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, beispielsweise bei der Knochenregeneration oder der Entwicklung von patientenspezifischen Implantaten.
Langfristig könnte die DVT die Tür zu einer vollständig digitalen Zahnarztpraxis öffnen, in der Diagnostik, Planung und Therapie nahtlos ineinandergreifen. Die Möglichkeit, virtuelle Patientenmodelle zu erstellen, die alle relevanten anatomischen Informationen enthalten, wird die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachdisziplinen erleichtern und die Kommunikation mit dem Patienten verbessern. Die DVT ist somit nicht nur ein diagnostisches Werkzeug, sondern ein Wegbereiter für disruptive Technologien, die das Potenzial haben, die zahnmedizinische Versorgung grundlegend zu transformieren und die Patientensicherheit sowie den Behandlungserfolg auf ein neues Niveau zu heben.
Quellen
- Patel S, Horner K. The use of cone beam computed tomography in endodontics. Int Endod J. 2009;42(12):1037-1046.
- Almufleh LS. The outcomes of nonsurgical root canal treatment and retreatment assessed by CBCT: a systematic review and meta-analysis. Saudi Dent J. 2025;37(14):1-14. https://link.springer.com/article/10.1007/s44445-025-00021-2
- Kot WY, Au Yeung SY, Leung YY, Leung PH, Yang WF. Evolution of deep learning tooth segmentation from CT/CBCT images: a systematic review and meta-analysis. BMC Oral Health. 2025;25(1):800. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40420051/
- ARö, DGZMK. S2k-Leitlinie „Dentale digitale Volumentomographie“, Langversion 3.0, 2022. AWMF-Registernummer: 083-005. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083-005.html
- Naseem M, Al-Saleh MA, Al-Khalifa KS, Al-Fouzan K, Al-Harbi F, Al-Johani K, Al-Qahtani F, Al-Sadhan R. Incidental findings from cone-beam computed tomography in a Saudi population: a systematic review. Saudi Dent J. 2024;36(1):1-10. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39820816/
- Al-Haj Husain A, Al-Haj Husain N, Al-Haj Husain A, Al-Haj Husain A. Low-dose CBCT protocols in implant dentistry: a systematic review. J Oral Maxillofac Surg. 2024;82(6):675-682. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2212440324001329
- Wu MK, Wesselink PR, Shemesh H. The effect of cone-beam computed tomography on the outcome of root canal treatment: a systematic review. Int Endod J. 2016;49(1):1-10.
- Chan E, et al. CBCT in contemporary endodontics. Aust Dent J. 2023;68(4):301-309. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/adj.12995