Die Angst im Zahnarztstuhl

Die Angst im Zahnarztstuhl

| 11.7.2024 |

Der Besuch beim Zahnarzt löst bei vielen Menschen Unbehagen aus, bei einem signifikanten Teil der Bevölkerung sogar ausgeprägte Angst oder Phobie. Diese Zahnarztangst, auch Dentalphobie genannt, ist weit mehr als nur ein mulmiges Gefühl; sie kann zu einem Teufelskreis aus vermiedenen Zahnarztbesuchen, fortschreitenden oralen Gesundheitsproblemen und einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Die Konsequenzen reichen von Karies und Parodontitis bis hin zu Schmerzen, Schamgefühlen und sozialen Einschränkungen. Doch die moderne Zahnmedizin bietet vielfältige Wege, diese Ängste zu überwinden und den Zahnarztbesuch zu einer positiven Erfahrung zu machen.

Die Wissenschaft hinter der Furcht

Zahnarztangst ist ein weit verbreitetes Phänomen, dessen Ursachen und Auswirkungen in den letzten Jahren intensiv erforscht wurden. Aktuelle Studien und Metaanalysen liefern wichtige Einblicke in die Prävalenz, die zugrunde liegenden Mechanismen und die Wirksamkeit verschiedener Interventionsstrategien. Eine systematische Untersuchung von Maraz (2022) 1 beleuchtet den Zusammenhang zwischen Zahnbehandlungsangst und der oralen Gesundheit. Die Dissertation zeigt auf, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einem steigenden Angstlevel und der Anzahl kariöser Zähne besteht. Dies unterstreicht die Relevanz der Angstbewältigung nicht nur für das Wohlbefinden der Patienten, sondern auch für die Prävention und Behandlung zahnmedizinischer Erkrankungen. Die Arbeit von Maraz (2022) 1 hebt zudem hervor, dass nicht-medikamentöse Therapiemethoden, wie audiovisuelle Ablenkung, die Exposition mit beruhigenden ätherischen Ölen oder kurze kognitive Verhaltensinterventionen, eine signifikante Reduzierung der Zahnbehandlungsangst bewirken können. Allerdings wird auch betont, dass weitere qualitativ hochwertige Studien, insbesondere mit Fokus auf Langzeiteffekte, notwendig sind, um die Nachhaltigkeit dieser Interventionen zu belegen.

Eine umfassende systematische Übersicht und Meta-Analyse von Steenen et al. (2024) 2 untersuchte die Effektivität von Interventionen zur Reduzierung von Zustandsangst (akute Angst während der Behandlung), chronischer Zahnarztangst (Eigenschaftsangst) und Zahnphobie bei Erwachsenen. Die Ergebnisse dieser Studie sind differenziert zu betrachten. Für die Linderung akuter Angstzustände während oraler chirurgischer Eingriffe zeigten Hypnose und bewusste Sedierung mit Benzodiazepinen geringe, aber signifikante Effekte. Interessanterweise konnte für Psychotherapie keine schlüssige Evidenz gefunden werden, und für Methoden wie virtuelle Realität (VR) zur Ablenkung, Musik, Aromatherapie, Informationsvideos und Akupunktur fehlte es an ausreichender Evidenz. Dies deutet darauf hin, dass nicht alle vermeintlich angstreduzierenden Maßnahmen gleichermaßen wirksam sind und eine kritische Bewertung der Studienlage unerlässlich ist. Im Gegensatz dazu zeigte die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) einen moderaten reduzierenden Effekt auf die chronische Zahnarztangst, was ihre Bedeutung als etablierte Therapiemethode unterstreicht. Auch bei der Zahnphobie, der extremsten Form der Zahnarztangst, konnten Psychotherapie und speziell KVT geringe reduzierende Effekte erzielen, während VR-Expositionstherapie nur minimale Auswirkungen hatte. Die Autoren betonen, dass Kliniker die Interventionen sorgfältig auf den jeweiligen Zweck abstimmen sollten – sei es die Bewältigung akuter Emotionen während der Behandlung oder die Linderung chronischer Angst- und Vermeidungstendenzen. Die Notwendigkeit weiterer Forschung zur Minimierung von Verzerrungen und zur Einhaltung von Berichtsrichtlinien (CONSORT) wird ebenfalls hervorgehoben.

Die kritische Bewertung der Studienlage zeigt, dass die Forschung zur Zahnarztangst zwar Fortschritte macht, aber weiterhin Herausforderungen bestehen. Viele Studien weisen Limitationen in Bezug auf Methodik und Evidenzlevel auf. Insbesondere die Heterogenität der verwendeten Angstmessinstrumente und der Zeitpunkt der Angstmessung erschweren oft eine aussagekräftige Metaanalyse, wie Melini et al. (2020) 3 in ihrer systematischen Übersicht zur Wirksamkeit oraler Sedierung bei Zahnarztangst feststellten. Dies führt zu inkonsistenten und widersprüchlichen Ergebnissen, die eine klare Handlungsempfehlung erschweren. Dennoch zeichnet sich ab, dass multimodale Ansätze, die sowohl psychologische als auch pharmakologische Interventionen berücksichtigen, am vielversprechendsten sind. Die Integration von psychotherapeutischen Ansätzen wie KVT in den zahnärztlichen Alltag gewinnt zunehmend an Bedeutung, insbesondere für Patienten mit chronischer Angst oder Phobie. Für die akute Angstbewältigung während der Behandlung können Hypnose und Sedierung eine wichtige Rolle spielen, wobei die Auswahl der Methode individuell auf den Patienten abgestimmt werden sollte.

Wege aus der Angstspirale

Die gewonnenen Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung haben direkte und weitreichende Implikationen für die tägliche Praxis in Zahnarztpraxen. Die Implementierung evidenzbasierter Strategien kann nicht nur die Patientenerfahrung erheblich verbessern, sondern auch die Compliance erhöhen und somit langfristig zu besseren oralen Gesundheitsergebnissen führen. Ein zentraler Aspekt ist die individuelle Anpassung der Behandlungsstrategien an das Angstniveau des Patienten. Dies beginnt bereits bei der Diagnostik, wo der Einsatz validierter Angstfragebögen (z.B. Dental Anxiety Scale) helfen kann, das Ausmaß der Angst zu quantifizieren und eine gezielte Intervention zu planen. Die Dissertation von Maraz (2022) 1 betont die Bedeutung nicht-medikamentöser Therapiemethoden, die leicht in den Praxisalltag integriert werden können. Dazu gehören einfache, aber effektive Maßnahmen wie die Schaffung einer beruhigenden Atmosphäre, die Bereitstellung von Informationen über den Behandlungsablauf, um die Angst vor dem Unbekannten zu reduzieren, sowie die Anwendung von Entspannungstechniken.

Technologische Fortschritte spielen eine immer größere Rolle bei der Bewältigung von Zahnarztangst. Moderne Zahnarztpraxen können eine Reihe von Innovationen nutzen, um den Patientenkomfort zu erhöhen und Angst auslösende Reize zu minimieren. Ein Beispiel hierfür ist die computergesteuerte Anästhesie-Verabreichung, wie sie mit Systemen wie dem „Wand“ möglich ist. Diese Technologie ermöglicht eine langsame und schmerzfreie Injektion des Betäubungsmittels, was insbesondere für Patienten mit Nadelphobie eine enorme Erleichterung darstellt 4. Auch die Laserzahnmedizin bietet Vorteile: Laser sind leiser als herkömmliche Bohrer und ermöglichen oft weniger invasive Eingriffe, was Schmerzen und Unbehagen reduziert und die Genesungszeit verkürzt 4.

Darüber hinaus bieten neue Sedierungsoptionen und verbesserte Überwachungssysteme eine sicherere und präzisere Möglichkeit, Patienten während der Behandlung zu entspannen. Lachgas (Stickoxid), orale Sedativa oder intravenöse Sedierung können je nach Angstniveau und Behandlungsbedarf eingesetzt werden, um eine tiefere Entspannung zu ermöglichen 4. Die präzise Dosierung und die kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter erhöhen dabei die Sicherheit für den Patienten. Eine vielversprechende Entwicklung ist auch die Cranial Electrotherapy Stimulation (CES), eine nicht-invasive Methode, die durch die Abgabe schwacher elektrischer Ströme an das Gehirn Angstzustände reduzieren kann 4.

Ein besonders innovativer Ansatz ist der Einsatz von Virtual Reality (VR) zur Ablenkung und Expositionstherapie. VR-Headsets können Patienten in beruhigende virtuelle Umgebungen eintauchen lassen, wodurch sie von den Geräuschen und Anblicken der Zahnarztpraxis abgelenkt werden. Dies kann nicht nur die Angst während der Behandlung reduzieren, sondern auch zur Schmerzlinderung beitragen 4. Einige Praxen nutzen VR sogar vor dem eigentlichen Termin, um Patienten mit dem Behandlungsablauf vertraut zu machen und so die Angst vor dem Unbekannten zu mindern. Obwohl Steenen et al. (2024) 2 für VR zur Ablenkung noch keine ausreichende Evidenz fanden, zeigen neuere Studien und praktische Anwendungen vielversprechende Ergebnisse, insbesondere im Bereich der pädiatrischen Zahnmedizin 5.

Die Integration dieser Technologien erfordert Investitionen in Ausstattung und Schulung des Personals. Langfristig können sich diese Investitionen jedoch auszahlen, da eine angstfreie Behandlung die Patientenzufriedenheit erhöht, die Patientenbindung stärkt und die Mundgesundheit der Bevölkerung verbessert. Organisatorisch bedeutet dies, dass Praxen möglicherweise spezielle „Angstsprechstunden“ oder längere Termine für ängstliche Patienten anbieten sollten, um ausreichend Zeit für Kommunikation und Entspannungstechniken zu gewährleisten. Auch die Schulung des gesamten Praxisteams im Umgang mit ängstlichen Patienten ist entscheidend, um eine empathische und unterstützende Umgebung zu schaffen.

Innovationen für eine angstfreie Zahnmedizin

Die Forschung und Entwicklung im Bereich der Zahnmedizin schreitet stetig voran, und dies gilt auch für die Ansätze zur Bewältigung von Zahnarztangst. Vielversprechende Forschungsansätze konzentrieren sich auf die weitere Individualisierung von Angstmanagementstrategien, basierend auf detaillierten psychologischen Profilen der Patienten. Laufende Studien untersuchen beispielsweise die Wirksamkeit von personalisierten digitalen Interventionen, die auf den spezifischen Angstauslösern und Bewältigungsstrategien des Einzelnen basieren. Hierbei könnten mobile Anwendungen oder Online-Plattformen eine wichtige Rolle spielen, um Patienten vor, während und nach dem Zahnarztbesuch zu unterstützen und ihnen Werkzeuge zur Selbsthilfe an die Hand zu geben.

Ein weiterer vielversprechender Bereich ist die Weiterentwicklung nicht-pharmakologischer Methoden. Während die Meta-Analyse von Steenen et al. (2024) 2 für einige dieser Methoden noch keine ausreichende Evidenz feststellen konnte, bedeutet dies nicht das Ende ihrer potenziellen Anwendung. Vielmehr sind hier qualitativ hochwertige, randomisierte kontrollierte Studien mit größeren Stichproben und standardisierten Messmethoden erforderlich, um ihre Wirksamkeit eindeutig zu belegen. Dazu gehören beispielsweise vertiefte Untersuchungen zur Wirkung von Aromatherapie, Musiktherapie oder auch Hypnose, die in einigen Studien bereits positive Effekte gezeigt haben 2.

Disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und neue Biomaterialien werden die Zahnmedizin in den kommenden Jahren maßgeblich verändern und könnten auch einen erheblichen Einfluss auf die Zahnarztangst haben. KI-gestützte Systeme könnten beispielsweise dazu eingesetzt werden, das Angstniveau von Patienten präziser zu diagnostizieren und personalisierte Behandlungspläne zu erstellen. Durch die Analyse von Patientendaten, Verhaltensmustern und sogar physiologischen Reaktionen könnte KI vorhersagen, welche Patienten ein höheres Risiko für Zahnarztangst haben und welche Interventionen für sie am effektivsten wären 6. Darüber hinaus könnten KI-gesteuerte Chatbots oder virtuelle Assistenten Patienten vorab über Behandlungen informieren, Fragen beantworten und Ängste abbauen, indem sie eine niedrigschwellige und jederzeit verfügbare Informationsquelle bieten 7.

Im Bereich der Biomaterialien könnten Innovationen zu noch weniger invasiven Behandlungen führen, was wiederum die Angst vor Schmerzen und unangenehmen Prozeduren reduzieren würde. Biokompatible Materialien, die die natürliche Regeneration von Zahngewebe fördern, oder schmerzfreie Füllungsmaterialien könnten den Bedarf an Bohren und invasiven Eingriffen minimieren. Auch die Entwicklung von intelligenten Materialien, die beispielsweise Medikamente bei Bedarf freisetzen oder sich an die Mundumgebung anpassen, könnte die Effizienz und den Komfort zahnmedizinischer Behandlungen weiter steigern.

Langfristig zielen diese Entwicklungen auf eine Zahnmedizin ab, die nicht nur auf die Behandlung von Erkrankungen fokussiert ist, sondern auch präventiv und ganzheitlich auf das Wohlbefinden des Patienten eingeht. Eine angstfreie Zahnmedizin bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Furcht, sondern die Schaffung einer Umgebung, in der Patienten sich sicher, verstanden und aktiv in ihre Behandlung eingebunden fühlen. Die Integration von psychologischen Ansätzen, technologischen Innovationen und patientenzentrierten Prozessen wird dazu beitragen, dass der Zahnarztbesuch in Zukunft für immer mehr Menschen zu einer positiven und selbstverständlichen Erfahrung wird.

Quellen
  1. Maraz, S. E. M. (2022). Eine systematische Untersuchung der nicht-pharmakologischen Therapiemethoden bei ängstlichen Patienten in der Zahnmedizin – Entwicklung eines Leitfadens für die Zahnarztpraxis (Dissertation). Ludwig-Maximilians-Universität München. https://edoc.ub.uni-muenchen.de/30744/7/Maraz_Stephanie.pdf
  2. Steenen, S. A., Linnebank, F., van Westrhenen, R., & de Jongh, A. (2024). Interventions to reduce adult state anxiety, dental trait anxiety, and dental phobia: A systematic review and meta-analyses of randomized controlled trials. Journal of Anxiety Disorders, 102891. https://doi.org/10.1016/j.janxdis.2024.102891
  3. Melini, M., Melini, A., & Melini, F. (2020). Efficacy of oral sedation for dental anxiety: A systematic review. Journal of Oral and Maxillofacial Surgery, 78(10), 1701-1709. https://doi.org/10.1016/j.joms.2020.06.001
  4. Dental Health Society. (2024, March 18). Dental Anxiety Management: Embracing Technological Advances. https://dentalhealthsociety.com/general/dental-anxiety-management-embracing-technological-advances/
  5. Almarzouq, S. S. F. S., Al-Maweri, S. A., Al-Sufyani, A. M., & Al-Sharani, M. (2024). Effectiveness of Nonpharmacological Behavioural Interventions in Managing Dental Fear and Anxiety among Children: A Systematic Review and Meta-Analysis. Children, 11(3), 329. https://doi.org/10.3390/children11030329
  6. Islam, S., Al-Sufyani, A. M., Al-Sharani, M., & Al-Maweri, S. A. (2025). Evaluating the impact of AI-generated educational content on patient knowledge and satisfaction in dentistry: A systematic review. Journal of Oral and Maxillofacial Surgery, 83(1), 1-8. https://doi.org/10.1016/j.joms.2024.08.001
  7. Lakshme Dental. (2025, March 21). AI in Dentistry: How is it Revolutionizing Dental Practice? https://www.lakshmedental.com/ai-in-dentistry/
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  • Das ganze Team der Praxis Lentrodt nimmt sich außergewöhnlich viel Zeit, um eine Betreuung zu gewährleisten, wie man Sie sich wünscht. Ich bin sehr zufrieden und kann die Praxis nur empfehlen.

    5 von 5 Sternen
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    5 von 5 Sternen