Karies zählt zu den am weitesten verbreiteten chronischen Erkrankungen weltweit. Laut der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) ist die Kariesprävalenz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland zwar erfreulicherweise stark zurückgegangen – 81% der 12-Jährigen waren 2015 kariesfrei – doch bei jungen Erwachsenen wurde bei knapp 25% sanierungsbedürftige Karies festgestellt und weniger als 3% hatten keine Karieserfahrung1.
Die Entstehung von Karies ist ein komplexer Prozess, bei dem verschiedene Faktoren zusammenwirken. Doch ein Faktor sticht besonders hervor: Zucker. Die wissenschaftliche Evidenz für den kausalen Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Kariesentstehung ist überwältigend. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat diesen Zusammenhang in ihren Richtlinien zum Zuckerkonsum klar herausgestellt und empfiehlt eine deutliche Reduktion der täglichen Zuckerzufuhr2.
Mikrobielles Schlachtfeld im Mund
Karies ist keine einfache Erkrankung, sondern das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels zwischen Mikroorganismen, Zahnhartsubstanz und Ernährungsfaktoren. Definiert wird Karies als eine durch den Stoffwechsel von Bakterien verursachte Erkrankung der Zähne, die zu einer fortschreitenden Demineralisierung und letztendlich zur Zerstörung der Zahnhartsubstanz führt3.
Im Zentrum der Kariesentstehung steht die orale Mikroflora, ein komplexes Ökosystem aus über 700 verschiedenen Bakterienarten. Besonders hervorzuheben ist dabei Streptococcus mutans (S. mutans), der lange Zeit als Hauptverursacher der Karies galt. Neuere Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass die Kariesentstehung nicht auf einen einzelnen Erreger zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf das Zusammenwirken verschiedener Bakterienarten im Rahmen eines dysbiotischen Biofilms4.
Die entscheidende Rolle des Zuckers bei der Kariesentstehung liegt in seiner Funktion als Nährstoff für die Bakterien im Biofilm. Insbesondere Saccharose, der gewöhnliche Haushaltszucker, nimmt dabei eine Sonderstellung ein:
Als Energiequelle: Die Bakterien verstoffwechseln Zucker zu organischen Säuren, hauptsächlich Milchsäure. Diese Säuren führen zu einem lokalen pH-Wert-Abfall an der Zahnoberfläche.
Als Baustein für extrazelluläre Polysaccharide: S. mutans und andere Bakterien nutzen Saccharose zur Synthese von extrazellulären Polysacchariden, insbesondere Glucanen, die die Adhäsion der Bakterien an der Zahnoberfläche fördern und die Struktur des Biofilms stabilisieren5.
Der durch die bakterielle Säureproduktion verursachte pH-Wert-Abfall führt zur Demineralisierung des Zahnschmelzes. Bei einem pH-Wert unter 5,5 beginnen die Calciumphosphat-Kristalle des Zahnschmelzes sich aufzulösen. Dieser Prozess ist zunächst reversibel – der Speichel kann den pH-Wert wieder anheben und Mineralien in den Zahnschmelz zurückführen6.
Zuckerkonsum unter der wissenschaftlichen Lupe
Die Evidenz für den Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Karies ist überwältigend. Eine umfassende Metaanalyse von Moynihan und Kelly aus dem Jahr 2014 untersuchte 55 Studien und kam zu dem Schluss, dass es eine konsistente Evidenz für den Zusammenhang zwischen der Menge des konsumierten Zuckers und der Kariesprävalenz gibt7.
Neuere epidemiologische Daten bestätigen diesen Zusammenhang. Eine Studie von Heilmann et al. aus dem Jahr 2021 untersuchte den Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Mundgesundheit in Deutschland und kam zu dem Ergebnis, dass ein hoher Zuckerkonsum mit einer erhöhten Kariesprävalenz assoziiert ist, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen8.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, die Aufnahme freier Zucker in allen Lebensphasen auf unter 10 Energieprozent zu senken. Bei einer Aufnahme von 2000 Kilokalorien pro Tag entspricht dies rund 50 g Zucker (ca. 10 Teelöffel) für einen durchschnittlichen Erwachsenen. Zusätzlich hält die WHO eine weitere Reduktion auf unter 5 Energieprozent (also täglich nicht mehr als 5 Teelöffel bzw. 25 g Zucker für Erwachsene) für sinnvoll9.
Moderne Strategien im Kampf gegen Karies
Die Erkenntnis, dass Zucker eine zentrale Rolle bei der Kariesentstehung spielt, hat weitreichende Implikationen für die Prävention und Therapie dieser Erkrankung.
Die Prävention von Karies basiert auf drei Hauptsäulen: Fluoridierung, Ernährungslenkung und mechanische Plaquekontrolle.
Fluoride spielen eine zentrale Rolle bei der Kariesprophylaxe, indem sie die Remineralisierung fördern und die Demineralisierung hemmen. Die S3-Leitlinie zur Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) aus dem Jahr 2025 empfiehlt die tägliche Anwendung einer fluoridhaltigen Zahnpasta mit 1000-1500 ppm Fluorid als effektivste Methode zur Vorbeugung von Karies10.
Die Reduktion des Zuckerkonsums ist eine zentrale Strategie zur Kariesprophylaxe. Dabei geht es nicht nur um die Reduktion der Gesamtmenge des konsumierten Zuckers, sondern auch um die Reduktion der Frequenz der Zuckeraufnahme. Die S3-Leitlinie zur Kariesprophylaxe empfiehlt, die Menge zuckerhaltiger Speisen und Getränke so weit wie möglich zu reduzieren und die Frequenz der Zuckeraufnahme auf maximal vier Mal pro Tag zu beschränken10.
Ein vielversprechender Ansatz ist der Ersatz von Zucker durch Zuckeraustauschstoffe wie Xylit oder Erythritol. Diese Substanzen können nicht von kariogenen Bakterien verstoffwechselt werden und haben daher keine kariogene Wirkung. Darüber hinaus haben sie antimikrobielle Eigenschaften und können die Biofilmbildung hemmen11.
Die Zukunft der Kariesbekämpfung
Die Forschung zur Kariesprävention und -therapie entwickelt sich kontinuierlich weiter. Vielversprechende Ansätze umfassen die gezielte Modulation des oralen Mikrobioms, den Einsatz von KI in der Diagnostik und die Entwicklung neuer Biomaterialien.
Ein vielversprechender Ansatz in der Kariesprävention ist die gezielte Modulation des oralen Mikrobioms, um ein gesundes ökologisches Gleichgewicht zu fördern und die Dominanz kariogener Bakterien zu verhindern. Probiotika, antimikrobielle Peptide und Quorum-Sensing-Inhibitoren sind dabei vielversprechende Strategien12.
Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen haben das Potenzial, die Kariesdiagnostik zu revolutionieren. KI-Algorithmen können in digitalen Röntgenbildern oder intraoralen Scans Muster erkennen, die auf Karies hindeuten, und so die Früherkennung verbessern13.
Die Entwicklung neuer Biomaterialien zur Förderung der Remineralisierung ist ein weiterer vielversprechender Forschungsbereich. Bioaktive Gläser und Nanopartikel, die gezielt in demineralisierte Bereiche des Zahnschmelzes eindringen und dort Mineralien freisetzen, eröffnen neue Möglichkeiten für die minimalinvasive Therapie früher Kariesläsionen14.
Süße Wahrheit
Die wissenschaftliche Evidenz für den kausalen Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Kariesentstehung ist überwältigend. Zucker dient den Bakterien im oralen Biofilm als Nährstoff und wird zu Säuren verstoffwechselt, die den Zahnschmelz demineralisieren und so den Kariesprozess initiieren.
Die WHO empfiehlt daher, den Konsum freier Zucker auf unter 10% der täglichen Energiezufuhr zu reduzieren, was etwa 50 g Zucker pro Tag für einen durchschnittlichen Erwachsenen entspricht. Eine weitere Reduktion auf unter 5% der täglichen Energiezufuhr, also etwa 25 g Zucker pro Tag, wird als noch vorteilhafter angesehen.
Die moderne Kariologie hat sich von einem rein restaurativen Ansatz hin zu einem mehr präventiven und minimalinvasiven Konzept entwickelt. Dabei steht nicht mehr die Entfernung der kariösen Zahnsubstanz und die anschließende Restauration im Vordergrund, sondern die Kontrolle des kariogenen Prozesses und die Förderung der Remineralisierung.
Neue Forschungsansätze wie die Modulation des oralen Mikrobioms, der Einsatz von KI in der Diagnostik und die Entwicklung neuer Biomaterialien eröffnen vielversprechende Perspektiven für die Zukunft der Kariesprävention und -therapie. Gleichzeitig sind bevölkerungsweite Strategien zur Reduktion des Zuckerkonsums wichtige Bausteine einer umfassenden Strategie zur Kariesbekämpfung.
Quellen
- Jordan AR, Micheelis W. Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V). Köln: Deutscher Zahnärzte Verlag DÄV; 2016.
- World Health Organization. Guideline: Sugars intake for adults and children. Geneva: World Health Organization; 2015.
- Selwitz RH, Ismail AI, Pitts NB. Dental caries. Lancet. 2007;369(9555):51-59.
- Bowen WH, Burne RA, Wu H, Koo H. Oral biofilms: pathogens, matrix, and polymicrobial interactions in microenvironments. Trends Microbiol. 2018;26(3):229-242.
- Bowen WH, Koo H. Biology of Streptococcus mutans-derived glucosyltransferases: role in extracellular matrix formation of cariogenic biofilms. Caries Res. 2011;45(1):69-86.
- Fejerskov O, Kidd E. Dental Caries: The Disease and Its Clinical Management. 3rd ed. Oxford: Wiley-Blackwell; 2015.
- Moynihan PJ, Kelly SA. Effect on caries of restricting sugars intake: systematic review to inform WHO guidelines. J Dent Res. 2014;93(1):8-18.
- Heilmann A, Ziller S. Reduzierung des Zuckerkonsums für eine bessere Mundgesundheit – Welche Strategien sind Erfolg versprechend? Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2021;64(7):838-846.
- World Health Organization. Guideline: Sugars intake for adults and children. Geneva: World Health Organization; 2015.
- Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung, Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. S3-Leitlinie Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen – grundlegende Empfehlungen. AWMF-Registernummer: 083-021. 2025.
- Janakiram C, Deepan Kumar CV, Joseph J. Xylitol in preventing dental caries: A systematic review and meta-analyses. J Nat Sci Biol Med. 2017;8(1):16-21.
- Marsh PD. In sickness and in health—what does the oral microbiome mean to us? An ecological perspective. Adv Dent Res. 2018;29(1):60-65.
- Schwendicke F, Golla T, Dreher M, Krois J. Convolutional neural networks for dental image diagnostics: A scoping review. J Dent. 2019;91:103226.
- Cochrane NJ, Cai F, Huq NL, Burrow MF, Reynolds EC. New approaches to enhanced remineralization of tooth enamel. J Dent Res. 2025;89(11):1187-1197.