Frischer Atem durch Zungenreinigung?

Frischer Atem durch Zungenreinigung?

Mundgeruch – ein Thema, das viele Menschen betrifft, aber über das nur ungern gesprochen wird. Etwa 50 bis 60 Prozent der Weltbevölkerung haben dieses Problem schon einmal erlebt, und für manche ist es ein ständiger Begleiter, der zu sozialem Rückzug und vermindertem Selbstwertgefühl führen kann. Während die Zahnpflege mit Bürste und Zahnseide fest in unseren täglichen Routinen verankert ist, bleibt ein Bereich oft unbeachtet: die Zunge. Dabei beherbergt sie etwa zwei Drittel aller Mikroorganismen in der Mundhöhle und gilt als Hauptverursacher von Halitosis, wie Mundgeruch in der Fachsprache genannt wird. Doch hilft die Reinigung der Zunge tatsächlich gegen Mundgeruch?

Die Mikrobiologie des Mundgeruchs

Mundgeruch entsteht hauptsächlich durch bakterielle Aktivität im Mundraum. Besonders die Zunge mit ihrer rauen Oberfläche und den zahlreichen Papillen bietet einen idealen Lebensraum für Mikroorganismen. "In 90 Prozent der Fälle liegt die Ursache für Halitosis im Mundraum, und zwar meist auf der Zunge", erklärt die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie in ihren aktuellen Leitlinien1. Die Bakterien, die den Mundgeruch verursachen, produzieren flüchtige Schwefelverbindungen (Volatile Sulfur Compounds, VSCs), die für den charakteristischen unangenehmen Geruch verantwortlich sind.

Eine Metaanalyse von Nagraj et al. (2019), veröffentlicht in der renommierten Cochrane Database of Systematic Reviews, untersuchte verschiedene Interventionen zur Behandlung von Halitosis2. Die Autoren analysierten 44 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 1809 Teilnehmern. Bezüglich der mechanischen Zungenreinigung wurden zwei randomisierte kontrollierte Studien mit 46 Teilnehmern eingeschlossen. Die Ergebnisse zeigten eine Verbesserung der vom Zahnarzt bewerteten organoleptischen Testergebnisse (OLT-Scores) zugunsten der Zungenreinigung. Allerdings bewerteten die Autoren die Evidenzqualität als sehr niedrig.

Eine aktuellere Studie von Motta et al. (2024) untersuchte die Wirkung der antimikrobiellen photodynamischen Therapie und Zungenreinigung auf Halitosis3. Die Ergebnisse zeigten eine sofortige Reduktion von Halitosis durch Zungenreinigung in der klinischen Bewertung mittels Halimetrie. Wang et al. (2017) verglichen in einer parallelen zweiarmigen Studie die Wirksamkeit von Zahnbürsten und mechanischer Zungenreinigung4. Nach einer Woche zeigten die Teilnehmer, die zusätzlich zum Zähneputzen eine mechanische Zungenreinigung durchführten, signifikant niedrigere VSC-Werte im Vergleich zur Kontrollgruppe.

Ein systematisches Review von Offenbächer et al. (2024) untersuchte den Einfluss von Probiotika auf Halitosis und kariogene Bakterien5. Die Autoren analysierten 16 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 921 Patienten. Ein bemerkenswertes Ergebnis war, dass die Kombination von Probiotika mit Zungenreinigung zu einer anhaltenden Reduktion der VSC-Werte führte, während die Zungenreinigung allein nur kurzfristige Effekte zeigte.

Von der Forschung in die Praxis

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Zungenreinigung haben direkte Auswirkungen auf die zahnärztliche Praxis und die Empfehlungen für Patienten. Trotz der begrenzten Evidenzqualität deuten die vorhandenen Daten darauf hin, dass die Zungenreinigung ein wirksames Mittel zur Reduktion von Mundgeruch sein kann, insbesondere als Teil einer umfassenden Mundhygienestrategie.

Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) empfiehlt in ihren aktuellen Leitlinien zur häuslichen mechanischen Zahn- und Mundpflege die Zungenreinigung einmal täglich zur Reduktion von Mundgeruch8. Diese Empfehlung basiert auf der Erkenntnis, dass der Zungenbelag eine Hauptquelle für die Produktion von flüchtigen Schwefelverbindungen ist.

Für die praktische Umsetzung in der Zahnarztpraxis ergeben sich folgende konkrete Handlungsempfehlungen:

  1. Gründliche Diagnostik: Anamnese, klinische Untersuchung, organoleptische Beurteilung und wenn möglich instrumentelle Messung der VSC-Werte.

  2. Mechanische Zungenreinigung: Patienten sollten in der korrekten Anwendung von Zungenschabern oder -bürsten unterwiesen werden. Die Reinigung sollte von hinten nach vorne erfolgen, um den Würgereflex zu minimieren.

  3. Kombination mit anderen Maßnahmen: Die Zungenreinigung sollte als Teil einer umfassenden Mundhygienestrategie betrachtet werden, die auch das regelmäßige Zähneputzen und die Verwendung von Zahnseide umfasst.

  4. Individualisierte Empfehlungen: Die Häufigkeit und Intensität der Zungenreinigung sollte an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst werden.

Die Integration der Zungenreinigung in das Praxiskonzept bietet auch wirtschaftliche Vorteile durch die Erweiterung des Prophylaxeangebots und eine höhere Patientenzufriedenheit.

Innovative Ansätze für die Halitosis-Behandlung

Die Forschung zur Zungenreinigung und Halitosis-Behandlung entwickelt sich kontinuierlich weiter. Ein aufstrebendes Forschungsgebiet ist die detaillierte Analyse des oralen Mikrobioms und dessen Zusammenhang mit Halitosis. Diese Erkenntnisse könnten in Zukunft zu personalisierten Therapieansätzen führen, bei denen die Behandlung auf das individuelle mikrobielle Profil des Patienten abgestimmt wird.

Die technologische Entwicklung im Bereich der Mundhygienegeräte schreitet voran. Neben den klassischen Zungenschabern werden zunehmend elektrische Zungenreiniger mit verschiedenen Funktionen entwickelt, wie Ultraschall-Zungenreiniger und mit Sensoren ausgestattete "Smart Tongue Cleaners".

Die Forschung zu oralen Probiotika hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Besonders vielversprechend erscheint die Kombination von mechanischer Zungenreinigung mit probiotischen Präparaten. Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten für die Diagnostik und das Management von Halitosis, wie KI-gestützte Bildanalyse zur Quantifizierung des Zungenbelags.

Ein evidenzbasiertes Fazit

Die Frage, ob Zungenreinigung gegen Mundgeruch hilft, kann auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz vorsichtig positiv beantwortet werden. Die verfügbaren Studien deuten darauf hin, dass die mechanische Zungenreinigung zu einer kurzfristigen Reduktion von Mundgeruch führen kann, insbesondere wenn sie als Teil einer umfassenden Mundhygienestrategie eingesetzt wird.

Die Cochrane-Review von Nagraj et al. (2019) zeigt eine statistisch signifikante Verbesserung der vom Zahnarzt bewerteten organoleptischen Testergebnisse durch Zungenreinigung im Vergleich zu keiner Zungenreinigung2. Allerdings ist die Evidenzqualität als sehr niedrig einzustufen, was die Notwendigkeit weiterer gut designter Studien unterstreicht.

Für die zahnärztliche Praxis bedeutet dies, dass die Zungenreinigung als evidenzbasierte Maßnahme in das Prophylaxekonzept integriert werden sollte. Patienten mit Halitosis sollten über die Bedeutung der Zungenreinigung aufgeklärt und in der korrekten Technik unterwiesen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ja, Zungenreinigung kann gegen Mundgeruch helfen – als Teil einer umfassenden Mundhygienestrategie und unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des Patienten. Die zahnärztliche Praxis sollte diesen oft vernachlässigten Aspekt der Mundhygiene stärker in den Fokus rücken und Patienten entsprechend beraten. Denn ein frischer Atem trägt nicht nur zur oralen Gesundheit bei, sondern hat auch positive Auswirkungen auf das soziale Wohlbefinden und die Lebensqualität der Patienten.

Quellen
  1. Deutsche Gesellschaft für Parodontologie. Parodontitis und Mundgeruch. https://dgparo.de/gesund-im-mund/mundgeruch/ (2024).
  2. Nagraj SK, Eachempati P, Uma E, Singh VP, Ismail NM, Varghese E. Interventions for managing halitosis. Cochrane Database Syst Rev. 2019;12(12):CD012213.
  3. Motta PB, Gonçalves MLL, Gallo JMAS, Sobral APT, Motta LJ, Mayer MPA, et al. Short term effect of antimicrobial photodynamic therapy and probiotic L. salivarius WB21 on halitosis: A controlled and randomized clinical trial. PLoS One. 2024;19(1):e0297351.
  4. Wang YP, Lee HJ, Lin YS, Chen YH, Wu YC, Tsai CC. Halitosis and related factors among university students. J Dent Sci. 2017;12(2):126-132.
  5. Offenbächer V, Lo Giudice R, Nart J, Real-Voltas F, Arregui M, Greethurst AR, Galletti C. The Influence of Probiotics in Halitosis and Cariogenic Bacteria: A Systematic Review and Meta-Analysis. Appl Sci. 2024;14(15):6639.
  6. Mosaico G, Pinna M, Grassi R, Orrù G, Scribante A, Maiorani C, et al. Oral Health and Caries Prevention: How Tongue Hygiene Helps Maintain Balance of Microbiota and Overall Health in Pediatric Patients. Children (Basel). 2024;11(7):816.
  7. Acar B, Berker E, Tan Ç, İlarslan YD, Tekçiçek M, Tezcan İ. Effects of oral prophylaxis including tongue cleaning on halitosis and gingival inflammation in gingivitis patients-a randomized controlled clinical trial. Clin Oral Investig. 2019;23(4):1829-1836.
  8. Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Häusliche mechanische Zahn- und Mundpflege. https://www.dgzmk.de/documents/10165/1935850/H%C3%A4usliche%20mechanische%20Zahn-%20und%20Mundpflege/67728664-204f-4d29-8ded-384bdf264932 (2024).