Die tägliche Mundhygiene ist ein Eckpfeiler der allgemeinen Gesundheit, und das Zähneputzen bildet dabei die zentrale Säule. Es erscheint als eine simple Routine, doch die Fragen nach der optimalen Häufigkeit und dem idealen Zeitpunkt für das Zähneputzen sind Gegenstand kontinuierlicher wissenschaftlicher Diskussion und Forschung. Während die grundlegende Empfehlung, die Zähne regelmäßig zu reinigen, unumstritten ist, können Details in der Umsetzung einen signifikanten Unterschied für die Prävention von Karies und Parodontalerkrankungen bedeuten. Angesichts sich ständig weiterentwickelnder Erkenntnisse und teils widersprüchlicher Ratschläge in Laienmedien besteht Bedarf an einer klaren, evidenzbasierten Orientierung für gesundheitsbewusste Menschen.
Aktueller Forschungsstand: Wie oft und wann ist optimal?
Die wissenschaftliche Gemeinschaft hat sich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie oft und zu welchem Zeitpunkt das Zähneputzen den größten präventiven Nutzen gegen Karies und Zahnfleischerkrankungen entfaltet. Aktuelle Leitlinien führender zahnmedizinischer Organisationen fassen den derzeitigen Kenntnisstand zusammen und geben evidenzbasierte Empfehlungen.
Ein zentraler Punkt, über den ein breiter Konsens herrscht, ist die Häufigkeit des Zähneputzens. Sowohl die aktuelle deutsche S3-Leitlinie zur Kariesprävention bei bleibenden Zähnen, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) aus dem Jahr 2025 1, als auch die Empfehlungen der American Dental Association (ADA) 2 raten übereinstimmend dazu, die Zähne mindestens zweimal täglich gründlich mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta zu reinigen. Diese Empfehlung basiert auf der Notwendigkeit, den bakteriellen Biofilm (Plaque) regelmäßig und effektiv von den Zahnoberflächen zu entfernen. Plaque ist der Hauptverursacher von Karies und Gingivitis (Zahnfleischentzündung). Die DGZ/DGZMK-Leitlinie stuft diese Empfehlung als "stark" ein und verweist auf einen hohen Konsensgrad innerhalb der Expertengruppe, gestützt durch systematische Übersichtsarbeiten 1.
Die Frage, ob eine noch höhere Putzfrequenz, beispielsweise dreimal täglich, einen zusätzlichen Nutzen bringt, wird ebenfalls diskutiert. Die deutsche Leitlinie merkt an, dass dies in bestimmten Fällen, etwa bei Personen mit einem hohen Kariesrisiko, erwogen werden kann. Allerdings ist die wissenschaftliche Evidenz für einen signifikanten Zusatznutzen, der über das zweimal tägliche Putzen hinausgeht, derzeit begrenzt 1. Der Fokus liegt daher klar auf der konsequenten Umsetzung des zweimaligen Putzens als grundlegende Maßnahme der Mundhygiene.
Weniger eindeutig als bei der Frequenz ist die Datenlage bezüglich des optimalen Zeitpunkts für das Zähneputzen, insbesondere im Verhältnis zu den Mahlzeiten. Die deutsche S3-Leitlinie empfiehlt das Zähneputzen morgens nach dem Frühstück und abends vor dem Schlafengehen 1. Die Begründung für das abendliche Putzen liegt darin, Speisereste und Plaque vor der Nachtruhe zu entfernen. Während des Schlafs ist der schützende Speichelfluss reduziert, was das Risiko für Karies erhöht, wenn Plaque und Nahrungsreste auf den Zähnen verbleiben 1.
Die Empfehlung, morgens nach dem Frühstück zu putzen, zielt darauf ab, sowohl die nach der Nacht gebildete Plaque als auch die Speisereste der ersten Mahlzeit des Tages zu entfernen und gleichzeitig Fluorid auf die Zähne aufzubringen 1. Allerdings gibt es hier eine wissenschaftliche Kontroverse: Das Putzen vor dem Frühstück könnte theoretisch vorteilhaft sein, da es die Plaque entfernt, bevor diese die Zucker aus der Nahrung zu Säuren verstoffwechseln kann, die den Zahnschmelz angreifen. Die Leitlinie 1 diskutiert diese unterschiedlichen Ansätze, tendiert aber zur Empfehlung des Putzens nach dem Frühstück, betont jedoch, dass die Regelmäßigkeit des zweimaligen Putzens insgesamt wichtiger ist als der exakte Zeitpunkt in Bezug auf das Frühstück. Für diese Empfehlung zum Zeitpunkt gibt die Leitlinie einen moderaten Konsensgrad an, was die weniger eindeutige Evidenzlage widerspiegelt 1.
Ein wichtiger Aspekt, der im Zusammenhang mit dem Putzzeitpunkt nach Mahlzeiten steht, ist der Konsum säurehaltiger Lebensmittel und Getränke (z.B. Obst, Säfte, Softdrinks). Säuren können den Zahnschmelz temporär erweichen (Demineralisation). Unmittelbar anschließendes Zähneputzen könnte diesen erweichten Schmelz mechanisch abtragen und so zu erosiven Zahnschäden führen. Daher wird in der Leitlinie 1 empfohlen, nach dem Verzehr solcher Produkte etwa 30 Minuten mit dem Zähneputzen zu warten, um dem Speichel Zeit zu geben, die Säuren zu neutralisieren und den Schmelz zu remineralisieren.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Empfehlung zum zweimal täglichen Zähneputzen stark evidenzbasiert ist. Beim Zeitpunkt gibt es eine klare Präferenz für das Putzen vor dem Schlafengehen und eine Tendenz zum Putzen nach dem Frühstück, wobei eine Wartezeit nach sauren Mahlzeiten berücksichtigt werden sollte. Die Forschung in diesem Bereich ist jedoch dynamisch, und zukünftige Studien könnten diese Empfehlungen weiter präzisieren.
Praktische Implikationen: Was bedeutet das für den Alltag und die Zahnarztpraxis?
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur optimalen Frequenz und zum richtigen Zeitpunkt des Zähneputzens haben direkte Auswirkungen auf die Empfehlungen, die Zahnarztpraxen an ihre Patienten weitergeben, sowie auf die Gestaltung von Prophylaxeprogrammen. Auch wenn die Kernbotschaft – zweimal täglich putzen – etabliert ist, bieten die Details und die zugrundeliegende Evidenz wichtige Ansatzpunkte für die zahnmedizinische Beratung und Versorgung.
Für Zahnarztpraxen bedeutet der aktuelle Forschungsstand, dass die Aufklärung über das Zähneputzen über die reine Frequenzempfehlung hinausgehen sollte. Patienten sollten nicht nur daran erinnert werden, dass sie zweimal täglich putzen sollen, sondern auch warum und wann dies am sinnvollsten ist. Die Begründung für das abendliche Putzen vor dem Schlafengehen (reduzierter Speichelfluss, längere Einwirkzeit von Plaque) kann die Motivation der Patienten erhöhen, diese Empfehlung konsequent umzusetzen 1.
Bezüglich des morgendlichen Putzens ist eine differenzierte Beratung wichtig. Die Praxis kann die Empfehlung der Leitlinie, nach dem Frühstück zu putzen, weitergeben, sollte aber auch die Kontroverse und die Gründe für alternative Zeitpunkte (vor dem Frühstück) ansprechen können 1. Entscheidend ist die Aufklärung über den Umgang mit säurehaltigen Nahrungsmitteln: Die Empfehlung, nach deren Verzehr etwa 30 Minuten mit dem Putzen zu warten, ist eine essenzielle praktische Information, um erosiven Zahnschäden vorzubeugen 1. Diese Wartezeit gibt dem Zahnschmelz die Möglichkeit zur Remineralisation durch den Speichel. Zahnärzte und Prophylaxefachkräfte sollten Patienten aktiv nach ihren Ernährungsgewohnheiten fragen, um individuelle Risiken zu erkennen und maßgeschneiderte Ratschläge geben zu können.
Die Erkenntnisse beeinflussen auch professionelle Prophylaxemaßnahmen. Während die grundlegende Technik des Zähneputzens individuell instruiert wird, kann das Wissen um den optimalen Zeitpunkt in die Planung von Mundhygieneinstruktionen einfließen. Beispielsweise kann die Bedeutung des abendlichen Putzens im Rahmen von Kinder- und Jugendprophylaxe-Programmen besonders hervorgehoben werden.
Die Diskussion um die Putzfrequenz (zweimal vs. dreimal täglich) unterstreicht die Notwendigkeit einer individualisierten Risikobewertung. Patienten mit hohem Kariesrisiko (z.B. bei bestimmten Allgemeinerkrankungen, Medikamenteneinnahme mit Mundtrockenheit, kieferorthopädischer Behandlung) könnten von einer intensivierten Mundhygiene, eventuell auch einem dritten Putzvorgang oder zusätzlichen Fluoridierungsmaßnahmen, profitieren 1. Die Entscheidung hierüber sollte jedoch stets auf einer individuellen Diagnose und Risikoeinschätzung durch das zahnärztliche Team basieren.
Technologische Entwicklungen, wie elektrische Zahnbürsten mit Timer-Funktion oder Drucksensoren, unterstützen bereits die Umsetzung der Empfehlungen zur Putzdauer (mindestens zwei Minuten) und zur Vermeidung von zu hohem Anpressdruck. Zukünftige smarte Zahnbürsten könnten potenziell auch personalisierte Erinnerungen für optimale Putzzeitpunkte basierend auf den Mahlzeiten des Nutzers integrieren, obwohl dies derzeit noch Zukunftsmusik ist.
Organisatorisch bleibt die Herausforderung, diese detaillierten Empfehlungen effektiv in den Praxisalltag zu integrieren. Zeit für umfassende Aufklärung im Rahmen der Kontrolluntersuchungen oder Prophylaxesitzungen ist essenziell. Visuelle Hilfsmittel, Flyer oder digitale Informationsangebote können die mündliche Beratung unterstützen und die Patienteninformation nachhaltiger gestalten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse die zahnärztliche Praxis darin bestärken, die grundlegende Empfehlung des zweimal täglichen Zähneputzens zu betonen, diese aber durch differenzierte Ratschläge zum optimalen Zeitpunkt und zum Umgang mit Risikofaktoren wie säurehaltiger Ernährung zu ergänzen. Eine individualisierte Beratung basierend auf dem Risikoprofil des Patienten bleibt der Schlüssel zu einer erfolgreichen Prävention.
Wohin geht die Reise in der Zahnhygiene?
Die Forschung zur Optimierung der Mundhygiene ist ein dynamisches Feld, und auch wenn grundlegende Empfehlungen wie das zweimal tägliche Putzen gut etabliert sind, gibt es vielversprechende Entwicklungen und offene Fragen, die zukünftige Strategien prägen könnten.
Obwohl die aktuelle deutsche Leitlinie eine Tendenz zum Putzen nach dem Frühstück ausspricht, bleibt die Evidenzlage hier weniger robust als bei der Frequenz 1. Zukünftige, gut designte klinische Studien könnten helfen, den optimalen Zeitpunkt im Verhältnis zu Mahlzeiten – insbesondere dem Frühstück – eindeutiger zu bestimmen. Langzeitstudien, die nicht nur Plaque-Reduktion, sondern auch klinische Endpunkte wie Kariesinzidenz und Gingivitis-Scores über längere Zeiträume vergleichen, wären hier besonders wertvoll. Ebenso könnten weitere Untersuchungen den potenziellen Zusatznutzen einer dritten täglichen Zahnreinigung für spezifische Risikogruppen genauer quantifizieren.
Die Digitalisierung macht auch vor dem Badezimmer nicht halt. Sogenannte "smarte" elektrische Zahnbürsten, die über Sensoren Putztechnik, Dauer, Druck und abgedeckte Bereiche erfassen und Feedback per App geben, sind bereits verfügbar. Zukünftige Generationen dieser Geräte könnten noch ausgefeilter werden. Denkbar sind Integrationen mit Ernährungstagebüchern, um personalisierte Erinnerungen für das Putzen nach Mahlzeiten zu geben oder automatische Anpassungen der Putzempfehlungen basierend auf dem individuellen Kariesrisiko, das durch zahnärztliche Daten gespeist wird. Künstliche Intelligenz (KI) könnte dabei helfen, Muster im Putzverhalten zu erkennen und hochgradig individualisierte Coaching-Programme zu entwickeln.
Die Forschung an neuen Wirkstoffen für Zahnpasten und Mundspülungen geht ebenfalls weiter. Neben Fluorid, das der Goldstandard bleibt, werden Substanzen erforscht, die gezielter in das mikrobielle Gleichgewicht der Mundhöhle eingreifen (z.B. Probiotika, spezifische antimikrobielle Peptide) oder die Remineralisation des Zahnschmelzes noch effektiver unterstützen könnten (z.B. bioaktive Gläser, Hydroxylapatit-Nanopartikel). Auch die Entwicklung von Zahnbürstenmaterialien mit verbesserten Reinigungseigenschaften oder antimikrobieller Wirkung ist ein Forschungsfeld.
Der vielleicht wichtigste Trend ist die zunehmende Individualisierung der Prävention. Statt pauschaler Empfehlungen wird es immer wichtiger, das individuelle Risiko eines Patienten für Karies und Parodontalerkrankungen zu bestimmen. Faktoren wie Genetik, Speichelzusammensetzung, Ernährungsgewohnheiten, Allgemeinerkrankungen und Mikrobiom-Analysen könnten zukünftig eine noch genauere Risikostratifizierung ermöglichen. Darauf aufbauend könnten dann maßgeschneiderte Empfehlungen zur Putzfrequenz, zum Zeitpunkt, zur Wahl der Zahnpasta und zu ergänzenden Maßnahmen (z.B. Interdentalreinigung, professionelle Zahnreinigung) gegeben werden.
Die Zukunft der Zahnhygiene liegt somit wahrscheinlich in einer Kombination aus soliden, evidenzbasierten Grundempfehlungen, die durch technologische Hilfsmittel unterstützt und durch eine immer präzisere, individualisierte Risikobewertung und Beratung ergänzt werden. Das einfache Zähneputzen wird bleiben, aber das Wissen darum, wie es am effektivsten gestaltet werden kann, wird sich weiterentwickeln.
Quellen
- Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ), Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). S3-Leitlinie (Langfassung): Kariesprävention bei bleibenden Zähnen – grundlegende Empfehlungen. Version 2.0, Stand: 28.01.2025. AWMF-Registernummer: 083-021. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/083-021.
- American Dental Association (ADA). Toothbrushes. Oral Health Topics. Stand: 07. Oktober 2022. Verfügbar unter: https://www.ada.org/resources/ada-library/oral-health-topics/toothbrushes.