Seit über 150 Jahren gehören Amalgamfüllungen zum zahnmedizinischen Standardrepertoire. Die silbrig glänzenden Füllungen sind bekannt für ihre Langlebigkeit, Festigkeit und Kosteneffizienz. Doch kaum ein Dentalmaterial hat so viele Kontroversen ausgelöst wie die Quecksilber-Legierung. Während manche Patienten besorgt nach Alternativen fragen, betonen Fachgesellschaften die Sicherheit des Materials. Diese widersprüchlichen Botschaften verunsichern Patienten und stellen Zahnärzte vor die Herausforderung, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen.
Die zentrale Frage: Sind Amalgamfüllungen gesundheitsschädlich und sollten bestehende Füllungen ausgetauscht werden?
Amalgam unter der Lupe
Die Debatte um Amalgam dreht sich hauptsächlich um das enthaltene Quecksilber, das etwa 42-45% der Legierung ausmacht. Quecksilber ist ein neurotoxisches Schwermetall, das in hohen Dosen gesundheitsschädlich sein kann. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob die Mengen, die aus Amalgamfüllungen freigesetzt werden, ein relevantes Gesundheitsrisiko darstellen.
Aktuelle systematische Reviews und Metaanalysen liefern hierzu klare Antworten. Ein systematischer Review von 2021 kam zu dem Schluss, dass Amalgamfüllungen nicht mit einem Anstieg systemischer Erkrankungen bei Kindern oder Erwachsenen assoziiert sind, wenn man sie mit Personen vergleicht, die Kompositfüllungen erhalten haben 1. Diese Ergebnisse werden durch zwei bemerkenswerte randomisierte klinische Studien untermauert.
In diesen Langzeitstudien aus Portugal und den USA wurden über 500 Kinder über Zeiträume von fünf bis sieben Jahren beobachtet. Obwohl Kinder mit Amalgamfüllungen erwartungsgemäß höhere Quecksilberwerte im Urin aufwiesen, zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede bei neurologischen Tests, einschließlich IQ, Gedächtnis und Aufmerksamkeit, im Vergleich zu Kindern mit Kompositfüllungen 2,3. Auch die Nierenfunktion war nicht beeinträchtigt – ein wichtiger Befund, da die Nieren ein Hauptausscheidungsorgan für Quecksilber sind.
Ein weiterer systematischer Review fand unzureichende Evidenz für die Annahme, dass Dentalamalgam im Vergleich zu Kompositfüllungen Nephrotoxizität verursachen könnte 4. Diese Ergebnisse werden durch den umfassenden Bericht des wissenschaftlichen Ausschusses der Europäischen Kommission (SCENIHR) von 2015 gestützt, der zu dem Schluss kam, dass "keine erhöhten Risiken für systemische Nebenwirkungen in der Allgemeinbevölkerung dokumentiert wurden und die aktuelle Verwendung von Dentalamalgam kein Risiko für systemische Erkrankungen darstellt" 5.
Zwischen Allergie und Normalität
Trotz der überwiegend positiven Sicherheitsbewertung gibt es spezifische Situationen, in denen Amalgam kontraindiziert ist. Allergische Reaktionen auf Amalgamkomponenten treten bei etwa 1% der behandelten Bevölkerung auf und äußern sich typischerweise als Kontaktdermatitis, orale lichenoide Läsionen, Gingivitis oder Stomatitis 6. In diesen Fällen führt die Entfernung des Amalgams in der Regel zur Linderung der Symptome.
Bemerkenswert ist, dass das sogenannte Burning-Mouth-Syndrom bei Amalgam seltener auftritt als bei anderen Dentalmaterialien 7. Dies unterstreicht, dass auch alternative Füllungsmaterialien nicht frei von potenziellen Nebenwirkungen sind – ein wichtiger Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion oft übersehen wird.
Für Patienten mit schweren Nierenerkrankungen wird Amalgam ebenfalls nicht empfohlen, da die Ausscheidung von Quecksilber bei eingeschränkter Nierenfunktion beeinträchtigt sein kann 5. Die International Association for Dental Research (IADR) fasst diese differenzierte Sichtweise in ihrer aktuellen Stellungnahme zusammen: Sie "bestätigt die Sicherheit von Dentalamalgam für die allgemeine Bevölkerung ohne Allergien gegen Amalgamkomponenten oder schwere Nierenerkrankungen" 8.
Entscheidungshilfen für den Zahnarzt
Für die zahnärztliche Praxis ergeben sich aus der aktuellen Evidenzlage klare Handlungsempfehlungen. Die prophylaktische Entfernung intakter Amalgamfüllungen ohne spezifische Indikation wird von keiner der großen Fachgesellschaften empfohlen. Im Gegenteil: Die Entfernung kann sogar zu einer vorübergehend erhöhten Quecksilberexposition führen 9.
Die American Dental Association (ADA) betont, dass "Dentalamalgam ein sicheres, erschwingliches und haltbares Füllungsmaterial ist" 10. Die Entscheidung für oder gegen Amalgam sollte auf einer Vielzahl von Faktoren basieren, darunter Nachempfindlichkeit, Langlebigkeit, Ästhetik, Platzierungsbedingungen und Kosten – nicht primär auf unbegründeten Gesundheitsbedenken.
Für die Praxis bedeutet dies: Bei intakten Amalgamfüllungen ohne klinische Symptome ist kein Austausch notwendig. Bei Patienten mit nachgewiesener Allergie gegen Amalgamkomponenten oder schweren Nierenerkrankungen sollten alternative Materialien verwendet werden. Bei der Entfernung von Amalgamfüllungen sollten Schutzmaßnahmen wie Kofferdam, Hochleistungsabsaugung und ausreichende Wasserkühlung eingesetzt werden, um die Quecksilberexposition zu minimieren.
Die Kommunikation mit dem Patienten spielt eine entscheidende Rolle. Patienten sollten über die aktuelle Evidenzlage informiert werden, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Dabei ist es wichtig, sowohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Sicherheit als auch die individuellen Präferenzen und Bedenken des Patienten zu berücksichtigen.
Wohin entwickelt sich die Füllungstherapie?
Die Verwendung von Amalgam nimmt weltweit ab – allerdings weniger aus Gesundheitsbedenken als aus ästhetischen Gründen und aufgrund von Umweltaspekten. Die Minamata-Konvention zu Quecksilber, der zahlreiche Länder beigetreten sind, zielt auf eine schrittweise Reduzierung der Quecksilberverwendung ab, was auch Dentalamalgam betrifft 11.
Diese Entwicklung hat die Forschung an alternativen Materialien intensiviert. Moderne Komposite bieten verbesserte mechanische Eigenschaften und Haltbarkeit, erreichen jedoch noch nicht die Langlebigkeit von Amalgam, insbesondere bei großen Kavitäten in den Seitenzahnbereichen 12. Eine aktuelle Metaanalyse zur Haltbarkeit von Restaurationsmaterialien zeigt, dass Kompositfüllungen in bestimmten klinischen Situationen eine höhere Versagensrate aufweisen als Amalgamfüllungen 13.
Vielversprechende Entwicklungen umfassen bioaktive Materialien, die zur Remineralisierung des umgebenden Zahngewebes beitragen können, sowie CAD/CAM-gefertigte Restaurationen. Die IADR betont "die Notwendigkeit weiterer Forschung zu neuen biokompatiblen und umweltfreundlichen Restaurationsmaterialien und -ansätzen, die nachweislich eine gleiche oder verbesserte langfristige klinische Langlebigkeit und Kosteneffizienz im Vergleich zu Amalgamrestaurationen aufweisen" 8.
Evidenzbasierte Entscheidungen statt emotionaler Debatten
Die Kontroverse um Amalgamfüllungen wird oft mehr von emotionalen als von wissenschaftlichen Argumenten geprägt. Die aktuelle Evidenzlage zeigt jedoch deutlich: Für die allgemeine Bevölkerung ohne spezifische Risikofaktoren stellen Amalgamfüllungen kein relevantes Gesundheitsrisiko dar. Die geringe Menge an Quecksilber, die aus Amalgamfüllungen freigesetzt wird, liegt weit unter den gesundheitlichen Grenzwerten und hat keine nachgewiesenen klinischen Auswirkungen.
Die Entscheidung, bestehende Amalgamfüllungen zu entfernen, sollte daher nicht auf unbegründeten Gesundheitsbedenken basieren, sondern individuelle Faktoren wie Allergien, den Zustand der Füllung und ästhetische Präferenzen berücksichtigen. Gleichzeitig ist es wichtig, die Entwicklung und Verbesserung alternativer Materialien zu fördern, um langfristig umweltfreundlichere Optionen mit vergleichbarer klinischer Leistungsfähigkeit zu etablieren.
Für Zahnärzte und Patienten bedeutet dies: Evidenzbasierte Entscheidungen statt emotionaler Debatten, individuelle Abwägung statt pauschaler Empfehlungen und eine differenzierte Betrachtung, die sowohl klinische als auch ökologische Aspekte berücksichtigt. Nur so kann eine verantwortungsvolle und patientenorientierte Zahnmedizin praktiziert werden, die sowohl wissenschaftlichen Standards als auch individuellen Bedürfnissen gerecht wird.
Quellen
- American Dental Association. Systematischer Review zur Assoziation von Amalgamfüllungen mit systemischen Erkrankungen. J Am Dent Assoc. 2021;152(6):454-462.
- Bellinger DC, Trachtenberg F, Barregard L, et al. Neuropsychological and renal effects of dental amalgam in children: a randomized clinical trial. JAMA. 2006;295(15):1775-1783.
- DeRouen TA, Martin MD, Leroux BG, et al. Neurobehavioral effects of dental amalgam in children: a randomized clinical trial. JAMA. 2006;295(15):1784-1792.
- Ajiboye AS, Mossey PA, IADR Science Information Committee. Nephrotoxicity associated with dental amalgam and alternative dental restoration materials. J Dent Res. 2020;99(11):1257-1263.
- Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks (SCENIHR). The safety of dental amalgam and alternative dental restoration materials for patients and users. European Commission. 2015.
- Issa Y, Brunton PA, Glenny AM, Duxbury AJ. Healing of oral lichenoid lesions after replacing amalgam restorations: a systematic review. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod. 2004;98(5):53-565.
- Rathore M, Singh A, Pant VA. The dental amalgam toxicity fear: a myth or actuality. Toxicol Int. 2012;19(2):81-88.
- International Association for Dental Research. Safety of Dental Amalgam. Policy Statement. 2021.
- Clarkson TW, Magos L, Myers GJ. The toxicology of mercury—current exposures and clinical manifestations. N Engl J Med. 2003;349(18):1731-1737.
- American Dental Association. Oral Health Topics: Amalgam. 2023.
- United Nations Environment Programme. Minamata Convention on Mercury. 2013.
- Opdam NJ, van de Sande FH, Bronkhorst E, et al. Longevity of posterior composite restorations: a systematic review and meta-analysis. J Dent Res. 2014;93(10):943-949.
- Heintze SD, Rousson V. Clinical effectiveness of direct class II restorations - a meta-analysis. J Adhes Dent. 2012;14(5):407-431.